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Es werden Posts vom April, 2021 angezeigt.

Schwimmbadsommer und erste Liebe - Der große Sommer

 Bis zum vergangenen Jahr war mir Ewald Arenz kein Begriff. Dann las ich "Alte Sorten" und für mich stand fest: Von dem Autor will ich mehr lesen. Mit "Der große Sommer"  hatte ich nun Gelegenheit, sein neues Buch zu lesen - und das Warten hat sich definitiv gelohnt. Erzählte "Alte Sorten" die Geschichte einer Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Frauen, geht es auch hier um Annäherung, Fremdheit, Vertrauenssuche, vor allem aber ums Erwachsenwerden. Denn der Ich-Erzähler Frieder, etwa 16 Jahre alt, wächst Anfang der 1980-er Jahre auf in einer "verrückten" Familie, wie er selbst sagt. Sechs Kinder, zwei Hunde, zwei Katzen, der Großhaushalt wird von der Mutter gemanagt, während der Vater als nett, aber eben auch etwas lebensfremd beschrieben wird. Frieder, seine nur wenig jüngere Schwester Alma und sein bester freund Johannes sind ein untrennbares Dreierbündnis, die zusammenhalten gegen Lehrer, Spießer und - es ist schließlich die Zeit der Re

Unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen? "- Die Wahrheit der Dinge

 Schuld, Gerechtigkeit und irgendwo dazwischen steht das Gesetz. In Markus Thieles Justizroman "Die Wahrheit der Dinge" geht es um einen Richter in privater und beruflicher Krise, den Vorsitzenden einer Strafkammer, der plötzlich an sich und seiner Urteilsfähigkeit klagt, während sein jüngstes Urteil nicht nur eine mögliche Revision durch den Bundesgerichtshof, sondern auch eine Familienkrise heraufbeschwört.  Es wäre das fünfte Urteil, das der BGH kippt - für Frank Petersen ein Grund, plötzlich alles zu hinterfragen. Ist er voreingenommen, wie seine Frau es ihm vorwirft? soll er erst einnal eine gesundheitlich begründete längere Auszeit nehmen, wie seine Gerichtspräsidentin ihm vorschlägt? "Die Wahrheit der Dinge" ist kein Justizthriller a la Grisham, wie ja auch ein Strafprozess in einem deutschen Gerichtssaal nicht dem Schlagabtausch wie in den USA oder in Großbritannien gleicht, wo die Prozessbeteiligten eine Gruppe Geschworener von ihrer Sichtweise überzeugen m

Das Schwert in der linken Hand Gottes - "der gekaufte Tod"

Mit seinem Buch "Der gekaufte Tod" hat Stephen Mack Jones für mich einen Krimi mit Wow-Effekt geschrieben: Tough und hart, doch zugleich mit Wärme und Menschlichkeit, mit einem interessanten Protagonisten und einem Plot, in dem es um Korruption, Machtmissbrauch und den drohenden Untergang einer Stadt geht, ohne zu beschönigen oder zu resignieren. Geschrieben in einem lakonischen Stil, der manchmal von düsterer Poesie durchsetzt ist, ein Krimi Noir, der Schablonen vermeidet und atmosphärisch dicht ist, dazu spannend bis zum Schluss. In einer Stadt, aus der die wohlhabenden Weißen fliehen und in der sich die Latinos und die Afroamerikaner nicht gegenseitig über den Weg trauen, ist August Octavio Snow ungewöhnlich: Die Mutter stammte aus Mexiko, der Vater ein schwarzer Cop, der aus dem tiefsten Süden stammte und sich den Respekt der Nachbarn in Mexicantown erwarb.  Auch August wurde nach seinem Dienst bei den Marines in Afghanistan Polizist,  doch  das ist Vergangenheit. Nach se

Belarussisches Koma - der ehemalige Sohn

 Menschen, die jahrelang im Koma lagen, müssen sich, sollten sie aufwachen, an vieles Neue gewöhnen - Technologien haben sich weiterentwickelt, die Gesellschaft hat sich verändert. Nicht so im Fall von Franzisk, dem Protagonisten von Sasha Filipenkos Roman "Der ehemalige Sohn". Das Belarus, in dem Franzisk nach zehn Jahren im Koma als 26-jähriger aufwacht, erinnert eher an die Sowjetrepublik seiner Kindheit. Eine eingefrorene, erstarrte Gesellschaft, ein Land, das selbst komatös erscheint. Die Zeit scheint stehengeblieben. Filipenko hat mich als Autor bereits mit seinem Roman "Rote Kreuze" beeindruckt über die  Freundschaft zwischen einem jungen alleinerziehenden Vater und einer unter Demenz leidenden alten Frau, die ihre Erinnerungen an die Schrecken des Stalinismus weitergeben will. "Der ehemalige Sohn" stammt zwar aus dem Jahr 2014, ist aber angesichts der Ereignisse in Belarus und der Betrachtungen über das Regime des Langzeitpräsidenten Lukaschenko -

Die Stimme eines Überlebenden - Noah

 Ist „Noah“ die literarische Abbitte für „Stella“? Mit seinem Roman über die jüdische Gestapo-Greiferin, die ihr eigenes Leben rettete, in dem sie untergetauchte Juden an die Gestapo verriet, hatte Takis Würger viel Kritik auf sich gezogen. In Noah erzählt er erneut eine Lebensgeschichte, doch diesmal lässt er vor allem den jungen Zionisten und Auschwitz-Häftling Noah Klieger zu Wort kommen. Der in Straßburg geborene Klieger schloss sich bereits als 13-Jähriger einer Untergrundgruppe in Belgien an, die jüdische Kinder außer Landes schmuggeln wollte. Kurz bevor er selbst das Land verlassen wollte, wurde er im Alter von 16 Jahren verhaftet, kam nach Auschwitz und wurde dort Mitglied der Box-Staffel – obwohl er gar kein Boxer war. Aber die Extra-Suppe, die die Boxer erhielten, bot eine kleine zusätzliche Chance zum Überleben. Das war die dreifach gebrochene Nase wert. Klieger überlebte Auschwitz, er überlebte die Todesmärsche und zwei weitere Lager. Er war an Bord der „Exodus“, wurde

Poesie, Verzweiflung und die Faszination des Eises - "Der gefrorene Himmel"

 Das Tolle an den Buchmessen-Ehrengastländern ist, dass Leser in einem Jahr plötzlich ganz viele Autoren entdecken können, die sie bisher nicht auf dem Schirm hatten. Im vergangenen Jahr sollte auf der Frankfurter Buchmesse Kanada seine Autoren präsentieren, coronabedingt fand sie bekanntlich nur virtuell statt und dieses Jahr soll es mit dem kanadischen Auftritt hoffentlich klappen. Die Verlage waren angesichts der notwendigen Planung schneller und haben bereits eine Reihe entsprechender Titel herausgegeben.  Richard Wagamese, der leider bereits 2017 starb, ist beim Blessing Verlag gleich doppelt vertreten: Nachdem im vergangenen Jahr bereits "Das weite Herz des Landes" erschien, kam nun vor kurzem "Der gefrorene Himmel" heraus - und dieses Buch hat mich sprachlich womöglich sogar noch mehr beeindruckt. Wagamese war Ojibwe, ein indigener Schriftsteller, der in seinen Büchern indianische Identität und den Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit den First Nations themat