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Es werden Posts vom Oktober, 2020 angezeigt.

Der Bad Boy ist zurück: Kill `em all

 Wer sagt, dass das Gute am Ende immer sieht, hat die Rechnung ohne Steven Stelfox gemacht. Der ehemalige Musikproduzent mit dem Riesenego, gleichermaßen geld- und schwanzfixierter Chauvi der Extraklasse war schon der Protagonist von John Nivens „Kill your friends“. Nun hat Niven seinen Bad Boy wieder ins Zentrum eines Romans mit bitterbösem Witz und einem sehr britischen Humor gestellt. In „Kill ´em all“ ist Stelfox älter und reicher, kokst und säuft nicht mehr und hat sich mit seinen 47 Jahren eigentlich bereits in den Ruhestand zurückgezogen und könnte sich eigentlich auf seinen Millionen ausruhen. Aber wann ist genug denn schon genügend? Der Mann, der keine Freunde oder Beziehungen braucht und dessen politisches Idol Donald Trump ist, kehrt für eine heikle Mission zurück ins Musikgeschäft. Der befreundete Boss einer Plattenfirma – jedenfalls so weit Egomane Stelfox überhaupt in der Lage ist, so etwas wie freundschaftliche Gefühle zu entwickeln – hat ein Problem: Sein wichtigster

Berührender Abschied vom Vater - "Sterben im Sommer"

  Persönlicher geht es wohl nicht: Mit "Sterben im Sommer" setzt sich Zsuzsa Bánk mit der unheilbaren Krebserkrankung ihres Vaters auseinander, mit seinem Tod, dem ersten Jahr ohne ihn. Es ist buchstäblich Trauerarbeit, die sie als Ich-Erzählerin leistet.  In der Hörbuchversion ist Lisa Wagner eine Idealbesetzung für die Umsetzung des Buches. Ihre ruhige, manchmal spröde Stimme lenkt nicht ab von den Worten, ist nicht betont gefühlig, sondern nimmt sich angenehm zurück und erlaubt die Konzentration auf die of poetische und reflektierende Sprache der Autorin. Immer wieder macht Bánk mit vielen Wiederholungen den Einsruck, als Ringe sie noch beim Schreiben um das exakt passende Wort, als wolle sie damit dem Leser (oder Hörer) eine ganz bestimmte Nuance näher bringen. "Sterben im Sommer" startet mit einem letzten Familiensommer in der ungarischen Heimat der Eltern, die das Land nachdem niedergeschlagenen Aufstand 1956 verlassen haben. Noch einmal, ein letztes Mal, will

Der Riss in der Biografie - "Ich an meiner Seite"

 Artur ist zwar erst 22, hat aber schon viel Erfahrung mit Scheitern. Der Protagonist von Birgit Birnbachers Roman "Ich an meiner Seite" hat wegen Internetbetrugs und Identitätdiebstahls eine Haftstrafe abgesessen - nun soll er wieder Fuß fassen. Die Resozialisierungsmaschinerie ist angelaufen - Wohngemeinschaft, Therapie, ein Forschungsprojekt und ein eher unorthodoxer Therapeut mit genügend eigenen Problemen.  Im Gefängnis wurde Artur nicht wirklich auf die "Zeit danach" vorbereitet, und mit familiärer Rückendeckung sieht es auch nicht gut aus: Der Vater hat die Familie verlassen, als Artur und sein älterer Bruder noch klein waren. Der zweite Mann der Mutter hat sich nicht wirklich mit seinen Stiefsöhnen befasst, überhaupt war das Paar so mit dem Hospiz beschäftigt, dass es nach seiner Auswanderung nach Andalusien aufgebaut hat,dass Artur sich meist selbst überlassen blieb, zumal sein Bruder als Jugendlicher zurück nach Österreich kehrte.  Als der junge Mann aus d

Die unerzählte Geschichte der "First Nations" - Unter dem Nordlicht

 Kanada gilt ja als das freundliche Gesicht Nordamerikas - das Land mit der atemberaubenden Natur, den freundlichen Menschen, der Politik, die sich angenehm von dem Nachbarn südlich der Grenze unterscheidet. Oder doch nicht? In seinem Buch "Unter dem Nordlicht" schildert der Schweizer Autor Manuel Menrath die dunkle Seite der kanadischen Geschichte. In diesem Jahr sollte Kanada Partnerland der Frankfurter Buchmesse sein. Coronabedingt findet die Messe virtuell statt, der "richtige" Partnerauftritt wurde auf das kommende Jahr verschoben (toi, toi, toi!). Die Verlage planten ihre Neuerscheinungen zur Buchmesse allerdings langfristig, so dass es nicht verwunderlich ist, dass derzeit viel Literatur aus und über Kanada erscheint. Sowohl in "Volkswagen-Blues" als auch in "Das weite Herz des Landes" ging es um Protagonisten mit indianischer oder teilweise indianischer Identität, im Fall von Richard Wagamese handelte es sich zudem um einen indigenen Auto

Von Schweigen umgeben - "Ada" und das Aufwachsen in der Nachkriegszeit

 Sie ist zwar in Deutschland geboren, doch viele Erinnerungen hat Ada nicht, als sie mit ihrer Mutter aus Argentinien nach Berlin zurückkehrt. Der ihr als ihr Vater vorgestellte Mann ist für sie ein Fremder, fremd ist auch die Sprache, die Mentalität, der ganze Alltag. Auf diese Nachkriegskindheit blickt die Titelfigur von Christian Berkels Roman "Ada" als erwachsene Frau zurück, die Mauer ist gerade gefallen, doch sie selbst steckt gerade in einer Sinn- und Lebenskrise, erzählt einem Psychiater aus ihrem Leben. Als kleines Kind wollte Ada lange nicht sprechen, in Deutschland ist sie von Schweigen umgeben, wie viele ihrer Generation, die lange nicht einmal wissen, welche Fragen sie eigentlich stellen sollen. Es ist das Leben, die Generation "nach der Sintflut". Die jüngste Vergangenheit ist tabu,  als Ada zum ersten Mal von einer Mitschülerin den Namen Hitler hört, kann sie sich nichts darunter vorstellen. Dabei geht es in ihrer Familie nicht einmal um  verdrängte S

Das Eis schmilzt - Von der Klimakrise und dem Appel zum Handeln

 Als Polarforscher hat Arved Fuchs im Laufe der Jahrzehnte Einblicke in die Auswirkungen der Erdregionen erhalten,  zu denen die meisten Menschen niemals Zugang haben werden.  Zwar  ist das Foto des verhungernden Eisbären auf einer abgebrochenen Eisscholle viral als Symbol für die  Erwärmung der Polargebiete geworden - doch wenn Forschungsschiffe plötzlich problemlos Gebiete durchschiffen können, in denen noch wenige Jahre zuvor noch dichtes Packeis einen Wettlauf mit der Zeit zur Durchquerung der Passage machte, dann zeigt sich der Klimawandel mit einer noch ganz anderen Deutlichkeit als in den Extremwetterereignissen in unseren Breitengraden, den immer heißeren Sommern. Mit seinem Buch "Das Eis schmilzt" hat Arved Fuchs seine Forderungen nach neuem Denken bei Klimaschutz und Wirtschaft in eine auch für Nicht-Wissenschaftler leicht verständliche Form gebracht, die auch Menschen ohne viel Hintergrundwissen nicht überfrachtet. Mit zahlreichen Bildern sowohl von seinen Forschun

Heimkehr zu den Wurzeln - Das weite Herz des Landes

Eins mit der Natur und trotzdem unvertraut mit den eigenen Wurzeln - das ist für Franklin Starlight, den Protagonisten von Richard Wagameses Roman "Das weite Herz des Landes" kein Widerspruch. Denn der 16-jährige Ich-Erzähler, der bei einem Ziehvater auf einer entlegenen Farm aufwächst und schon als Kind selbständig jagte, tagelang allein in der Wildnis unterwegs war, weiß kaum etwas über seine Familie. Seine Mutter kennt er überhaupt nicht, seinen alkoholkranken Vater hat er nur selten gesehen und dann nicht in bester Erinnerung erhalten. Doch nun bittet der ihn um einen buchstäblich letzten Wunsch: Zum Sterben will er in die Berge, ein Tal überblicken und dann im Sitzen mit dem Gesicht nach Osten begraben werden, so wie einst die Krieger seines Volkes, von denen er eigentlich nichts weiß. Auch Richard Wagamese fand laut Klappentext erst als Erwachsener zu seinen indigenen kulturellen Wurzeln. Die Starlights sind "McJibs" - Nachkommen von Ojibwe-Indianern und Schot

Poetisches Porträt einer Grenzgängerin zwischen zwei Welten - "Das Meer der Libellen"

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  Wer schon einmal auf den Inseln des Lamu-Archipels war, weiß: Es ist, wie in eine andere Zeit, ein anderes Tempo einzutauchen. Die Inseln, auf denen sich die Traditionen der Swahili-Kultur besonders lebendig erhalten haben, sind geprägt vom Rhythmus des Meeres, vom Ruf des Muezzin, von afrikanischem und omanischem Erbe, dem Schmelztiegel alter Handelsstädte - auch wenn von der einstigen Bedeutung auf den Routen, auf denen schon Sindbad der Seefahrer unterwegs gewesen sein dürfte, nicht mehr viel zu spüren ist. Das Leben scheint dort langsamer, gemächlicher voranzustreiten. Hier siedelt die kenianische Autorin Yvonne Adhiambo Owuor ihren neuen Roman "Das Meer der Libellen" an. Es ist nicht automatisch eine Welt, die der in Nairobi geborenen Owuor, deren familiäre Wurzeln dem Namen nach eher im Westen des Landes liegen dürften, automatisch vertraut sein dürften."Die Küste ist nicht Kenia" heißt es an einer Stelle, und immer ist in dem Buch vom Unterschied der Küsten

Aufstand in Treblinka - das unbekannte(re) Todeslager

 Wenn vom Holocaust und den deutschen Todeslagern die Rede ist, dürften nicht nur in Deutschland die meisten Menschen an Auschwitz denken - das größte der nationalsozialistischen Vernichtungslager, das Lager mit den meisten Toten. Von mindestens 1,1 Millionen Opfern geht die Forschung aus.  Die Namen Treblinka, Sobibor oder Belzec dürften in Deutschland viel weniger Menschen vertraut sein, dabei waren diese Lager reine Todesfabriken. Wer in Auschwitz als ankommender Häftling die Selektion an der Rampe überstanden hatte, hatte zumindest theoretisch eine Chance zum Überleben, jedenfalls so lange die Kraft für die Zwangsarbeit ausreichte.  Wenn die mit deportierten Juden vollgepfernchten Güterzüge nach Treblinka oder Sobibor rollten, führte der einzige Weg in die Gaskammern, über die von den Nazis zynisch so genannte Himmelfahrtsstraße. Im Rahmen der "Operation Reinhardt" wurde die jüdische Bevölkerung der ostpolnischen Stetl ermordet, Treblinka wurde zum Friedhof der Warschauer

Ein Haus im Donbas und seine Bewohner - Märchen aus meinem Luftschutzkeller

Mtit "Märchen aus meinem Luftschutzkeller" zeichnet Oleksij Tschupa ein Bild der Ukraine jenseits der Klischees wogender Weizenfelder und blondbezopfter Frauen in buntbestickten Bauernblusen, aber auch jenseits der mittlerweile zur Routine gewordenen und schon halb vergessenen Szenen des andauernden militärischen Konflikts. Es ist eher eine Sammlung von Kurzgeschichten als ein Roman, die einzige Klammer ist das Haus in der Stadt Makijiwka, in der alle Figuren wohnen. Jede Episode ist mit einer Wohnung verbunden, vom Erdgeschoss bis zur dritten Etage. Makijiwka ist auch die Geburtsstadt des Autors in der Ostukraine, im Donbas, dem Kohlerevier, Teil der international nicht anerkannten Republik Donezk. Wenn hier von Nationalisten die Rede ist, sind die Anhänger der Regierung in Kiew gemeint. Doch die Notwendikeit eines Luftschutzkellers wird allenfalls im Nachwort Tschupas erläutert, denn die meisten seiner Hausbewohner haben entweder mit genügend Problemen ihres eigenen Alltags