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Es werden Posts vom Dezember, 2021 angezeigt.

Ölbarone und Bolschewiken - vorrevolutionäre Jugend in Aserbaidschan

 Frühreif, lebenshungrig und immer auf der Suche nach Liebe: Die 1905 geborene Banine wächst als Tochter eines "Ölbarons" in Baku in einer weitverzweigten Familie auf, in der sich alles um Geld, Geschäfte, Glückspiel und Erbstreitigkeiten dreht. In dem autobiographischen Roman "Kaukasische Tage", der nach der Erstveröffentlichung im Jahr 1949 nun mit neuer Übersetzung wieder erschienen ist, gibt sie einen Einblick in eine Zeit voller Umbrüche und in die vorrevolutionäre Gesellschaft.  Der Blick zurück fällt wenig milde aus:"  Wir alle kennen Familien, die als arm, aber anständig gelten. Meine hingegen war extrem reich, aber alles andere als anständig."   Der verwitwete Vater - die Mutter starb bei Banines Geburt - ist eine distante, aber nichtsdestoweniger dominierende Erscheinung. Banine und ihre drei älteren Schwestern wachsen auf in einer Welt die von Hinwendung an westliche Ideen - die Kinder werden von einem deutschbaltischen Kindermädchen aufgezogen

Einmal durch die Zeitalter - Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens

 4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte komprimiert auf gerade mal gut 300 Seiten - da hat der langjährige "Nature" Chefredakteur Henry Gee in der Tat "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens" aufgeschrieben, aus der ersichtlich wird, dass der Homo Sapiens, also unsere Spezies, letztlich nur eine winzige Fußnote in der Geschichte des Planeten ist. Mit der Mischung aus unterhaltsam und aufklärerisch, einem Ton leichten Understatements ist dieses Sachbuch im besten Sinne sehr britisch. Man kann sich geradezu die hochgezogene Augenbrauc des Autors vorstellen, während er Betrachtungen über die faszinierenden Wesen anstellt, die die Erde einst bevölkert haben und immer noch Nachfahren haben, die auf der Erde leben - nur, wie lange noch? Die Karriere aller Lebewesen ende mit dem Aussterben, zitiert Gee in seinem Nachwort den britischen Politiker Enoch Powell. Und Homo Sapiens werde dabei keine Ausnahme sein. Das liegt nicht nur allein an den Zerstörungen, die die Menschen ger

Monumentales Schlachtengemälde - "Stalingrad"

 Monumental - das ist Wassili Grossmans Roman, man könnte auch sagen Epos, gleich in mehrfacher Hinsicht. Mit einem Umfang von fast 1300 Seiten hat das Buch nicht gerade Standard-Format. Mit seinem verzweigten Figurendickicht steht Grossman zum anderen ganz in der Tradition der klassischen russischen Literatur mit ihrem vielfältigen Personal. Und dann ist da natürlich noch das Thema selbst, der Kampf um Stalingrad, für Deutsche wie für Russen gleichermaßen traumatisch angesichts der ungeheuren Menschenverluste, ein Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Monumental ist aber auch die Schreibweise, die wie eine literarische Umsetzung der Historienmalerei eines Jan Matejko wirkt und zugleich stark geprägt ist von der Sprache und dem Klima der Entstehung des Romans, der erstmals 1952 veröffentlicht wurde. Stalin lebte noch, und entsprechend zurückhaltend werden die Verhaftungs- und Säuberungswellem der vorangegangenen Jahre angedeutet. Beipielhaft für die vielen vom Krieg betroffenen Menschen i

Sowjetisch, postsowjetisch - Mütter, Töchter und Fremdheit

 Anpassung und wütendes Beharren auf Individualität, Mutter-Tochter-Beziehungen in all ihrer Komplexität, Heimatverlust und Erfahrung von Fremdheit - in ihrem Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" stellt Sasha Marianna Salzmann zwei Generationen mit ihren Erfahrungen gegenüber. Lena und Tatjana sind in der Sowjetunion der Breschnew-Jahre aufgewachsen, zwischen Mangelwirtschaft, Bürokratenherrschaft und Pionier-Ferienlager. Ihre Töchter Edi und Nina sind in Deutschland aufgewachsen, das alte Sowjetleben sagt ihnen nur wenig, die Beziehung zur eigenen community teils liebevoll, teils distanziert, teils eine Chance, wenn die vermeintliche Vertrautheit mit russisch-ukrainischen Problemen in einen Reportageauftrag münden soll. Für die Müttergeneration dagegen hat die Auswanderung nach Deutschland Hoffnungen nicht erfüllt. Lena war in Russland Ärztin - ihre Ausbildung wird in Deutschland nicht anerkannt, sie kann lediglich als Krankenschwester arbeiten. Der Plattenbau, in de

Eine Affäre mit Familienanschluss

 Edie stolpert nach abgebrochenem Kunststudium eher orientierungs- und antriebslos durchs Leben. In ihrem Assistenzjob in einem Verlag fühlt sie sich als Alibi-Schwarze, entwickelt aber auch keinen Ehrgeiz, Stereotype zu widerlegen - im Gegenteil - dass sie während der Arbeitszeit ihre Energie auf Sex-Chats konzentriert, ist wenig karrierefördernd. Die bedeutungslosen Affären am Arbeitsplatz dürften auch ein Ausdruck ihres schwach ausgeprägten Selbstbewusstseins sein. Die Ich-Etzählerin in Raven Leilanis Roman "Hitze" ist eine junge Frau, die man einfach mal durchschütteln möchte mit dem Ruf: "Hör auf, dem Leben und allen anderen die Schuld an deinen Problemen zu geben!" Denn Edie ist weder dumm noch unfähig, scheint aber jeglichen Ehrgeiz aufgegeben oder nie entwickelt zu haben - und die Beziehungen, in denen sie nur Objekt ist, sind da fast schon eine self fulfilling prophecy. Mit Eric, so hofft sie, könnte es anders sein. Er ist weiß, verheiratet, doppelt so alt

Lebensbrüche in einer Einwandererfamilie - Nacht der Bestimmung

 Kanada, das Partnerland der Buchmesse 2021, ist eine Einwanderungsgesellschaft - auch wenn man nur das Parlament in Ottawa sehen mus, um zu erkennen, wie sehr die angelsächsische Tradition das Land historisch geprägt hat. Dass de nördliche Nachbar der USA keine Monokultur ist, dafür stehen Autoren wie Anar Ali, die mit ihrem Buch "Nacht der Bestimmung" die Umbrüche und Lebenskrisen einer indo-afrikanischen Familie beschreibt. Ali ist Drehbuchautorin - das merkt man diesem Buch an mit seinen schnellen Szenen- und Zeitenwechseln. Das ist einerseits interessant zu lesen, sorgt aber andererseit für Wirbel und Stockungen im Erzählfuss. Manches, von dem ich gerne mehr gelesen hätte, bleibt so nur angerissen, die Skizze überwiegt vor mancher tiefgehender Schilderung. Mansoor Visram lebt seit 25 Jahren in Calgary in der kanadischen Prärieprovinz Albera - dem Teil des Landes, wo der American Way of Life, die Philosophie von Selfmademännern besonders stark ausgeprägt sind, anders als