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Es werden Posts vom Januar, 2023 angezeigt.

Das Zeugnis des Sonderkommandos

 Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das deutsche Vernichtungslager Auschwitz. Die Krematorien waren zu diesem Zeitpunkt bereits gesprengt, die Mehrheit der Häftlinge auf den berüchtigten Todesmärschen weiter westlich getrieben worden und diejenigen, die als krank und schwach zurückgelassen worden waren, verdankten ihr Überleben dem schnellen Vormarsch der sowjetischen Truppen. Denn eigentlich sollten keine Zeugnisse der deutschen Verbrechen übrigbleiben. Ein ganz besonderes Zeugnis, gewissermaßen der letzte Blick auf die Opfer, sind die Briefe des sogenannten Sonderkommandos. Ihm gehörten Häftlinge an, die an den Gaskammern, in den Krematorien von Auschwitz arbeiten mussten, die sahen, was andere Insassen zwar wussten, was sie aber erst dann sahen, wenn sie selbst zu den "Duschen" befohlen wurden.  Als Mitwisser und Augenzeugen waren auch die Mitglieder des Sonderkommandos Todeskandidaten, wie ihnen selbst nur zu klar war. Einige versuchten, Zeuge zu sein f

Hilfe, er ist ein Schwabe! - Multikulturelle Liebesgeschichte

  Amaya ist 30, Schauspielerin in einer Fernsehserie und Single. Vor allem letzteres bereitet ihren aus Marokko eingewanderten Eltern, insbesondere ihrer Mutter, Kummer. Denn auch wenn die Eltern einst darauf geachtet hatten, dass die Kinder kein "Ghetto-Deusch" sprachen und eine ordentliche Schullaufbahn hinter sich brachten - sie sind auch in der marokkanischen community verwurzelt und fromme, wenn auch keineswegs fundamentalistische Muslime. Und wie viele Mütter wünscht sich auch Amayas Mutter einen netten Ehemann für ihre Tochter und Enkelkinder. Das Problem für Amaya: Sie hat zwar schon eine Reihe von Männern gedated, aber das waren alles Deutsche. Als Ehemann akzeptabel, das ist ihr bewusst, ist nur ein Moslem. Und eigentlich will ja auch sie eine Familie gründen mit einem Mann, der ihre Werte und ihre Religion teilt. Eilig hat sie es eigentlich nicht damit. Dennoch, als sich der jüngere Bruder verlobt, wächst der Druck auf Amaya. Von der jüngeren Schwester lässt sie si

Unerfüllte Erwartungen an das Leben und die Liebe

 Der Titel "Lektionen" ist doppeldeutig: Das gleichnamige Buch von Ian McEwan beginnt in einem englischen Internat in den 60-er Jahren, mit einem Klavierunterricht, der für den da noch kindlichen Protagonisten Roland Baines noch weitreichende Folgen haben wird. Doch während der Autor seiner gleichaltrigen Romanfigur ein Leben lang folgt, bis in die Corona-Pandemie, da geht es eben auch um die Lehren eines langen Menschenlebens, um das, was Roland mitnimmt und das, was bleibt, von seinen Hoffnungen, seinen Lieben, seinen Erwartungen in sich selbst und den Erwartungen, die andere in ihn gesetzt haben. Da scheint zunächs vieles unerfüllt: Der junge Roland galt als großes Klaviertalent, doch statt einer Pianistenkarriere verdingt er sich auch noch deutlich jenseits der 70 als Klavierspieler während des afternoon tea in einem Hotel - von Musikmampfe spricht er dabei. Die literarischen und journalistischen Ambitionen münden in Kalendersprüchen und Gedichten für Grußkarten. Auch ein

Plädoyer für einen Journalismus mit Rückgrat

 Sie hat den Friedensnobelpreis erhalten und steht seit Jahren immer mit einem Bein im Gefängnis - nur weil sie ihren Job macht. Mit ihrer Biografie "How to stand up to a dictator" hat die philippinisch-amerikanische Jourmalistin Maria Ressa nicht nur ihre Lebensgeschichte erzählt, sie hat auch ein starkes Plädoyer für einen Journalismus mit Rückgrat geschrieben. Als Einwandererkind in den USA eher schüchtern und aufs Lernen focussiert, hat Ressa mit der Rückkehr in ihr Geburtsland steile Karriere gemacht als Südostasien-Korrespondentin bei CNN und langjährige Leiterin einer TV-Nachrichtenredaktion. Die 1963 geborene Journalistin setzte auf Datenjournalismus und digitale Formate, als viele ihrer Generation noch stark damit fremdelten, die Print-Welt zu verlassen oder eine andere Option der Publikation zumindest als gleichwertig zu akzeptieren.  Als Mit-Gründerin des rein digitalen Nachrichtenportals "Rappler" beschritt Ressa Neuland. Sie versprach sich davon mehr Pa

Die Stärke der Schwachen

 Von einer kubanischen Zigarrenfabrik im 19. Jahrhundert bis ins Miami der Gegenwart, von wohlhabenden Vororten bis zu den Gefängnissen für illegale Einwanderer - mit "Von Frauen und Salz"  schildert Gabriela Garcia zeit- und generationenübergreifend Frauen- und Migrationsgeschichten. Erst nach und nach zeigt sich, wo der rote Faden ist, der die Schicksale verbindet.  Maria Isabel, die Zigarrendreherin auf Kuba, Analphabetin, die dank des vorgelesnen Romans "Les Miserables" erkenntt, dass dem Leiden der Armen eine Stimme gegeben wurde, ist nicht nur die Protagonistin einer der Erzählungen, sie ist auch die Ur-Urgroßmutter der drogensüchtigen Jeannette im Miami der Gegenwart. Jeannette, immer zwischen Rückfall und Entzug schwankend, reist nach Kuba, auch auf der Suche nach  einem Stück Identität. Ihre Cousine dagegen hofft auf eine Einladung in die USA oder dass einer der Touristen, die auf Kuba nicht nur Strände, sndern auch sexuelle Kontakte suchen, sie mitnimmt. F

Frauen, allein

 In meinem langen Leseleben hatte ich mit Sachbüchern in Hörbuchform bisher keine Erfahrung.  Mit Katja Kullmanns "Die singuläre Frau" hat sich das nun geändert - und nicht nur inhaltlich hat mich diese Form, gelesen von Anna Maria Mühe, voll überzeugt. Gewiss, in einem Buch lässt sich vieles einfacher noch einmal nachlesen, zu den Fußnoten blättern, die weiterführenden Hinweise gleich einmal ausloten. Doch auch in der Hörversion ist dieses Plädoyer für eine andere Sicht auf Frauen, die nicht als Teil eines Paares durchs Leben gehen, eine bereichernde Erfahrung. Katja Kullmann hat ein intelligentes, mitunter ironisch zuspitzendes, gründliches und durchaus aufklärerisches Buch geschrieben, das auch gleich ein Stück Frauengeschichte und feministische Geschichte ist. Frauen, die ohne Partner leben - jedenfalls wenn es sich nicht um ein kurzes Intermezzo zwischen zwei Beziehungen handelt - kennen die Zuschreibungen, die in der Regel deutlich negativer sind als für allein lebende

Extremistische Netzwerke und Manipulationen - Fiktion nah dran am Aktuellen

 Es ist erst ein paar Wochen her, als bei einer der größten Anti-Terrorrazzien der jüngsten deutschen Geschchte ein mutmaßlicher Umsturzplan von Tatverdächtigen aus der "Reichsbürger-Szene" vereitelt wurde. Und bereits in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Skandale in Polizei und Bundeswehr, weil insbesondere Mitglieder aus Eliteeinheiten in rechtsextreme Aktivitäten verwickelt waren, oder in Revieren in Chatgruppen extremistische Inhalte getauscht wurden. Mit seinem Thriller "Der Zirkel" hat Leon Sachs also höchst aktuelle Bezüge und ein ausgesprochen spannendes Thema gefunden. Drei Morde in drei Ländern scheinen zunächst nicht miteinander in Verbindung zu stehen. Doch die Berliner Polizeischülerin Johanna Böhm erkennt eine Gemeinsamkeit zwischen den Toten, die in eine Vergangenheit führen, die sie hinter sich glaubte. Denn Johannas Vater ist ein Rechtsextremist hinter Biedermann-Attitüde, der nun an der Spitze einer neuen Partei mit vermeintlich bürgerlich

Okavango-Delta und Berliner Politik-Bubble

 Wer mit Mitte 20 und nach einem Politikstudium gewissermaßen nahtlos einen bezahlten Job im politischen Berlin bekommt, sollte eigentlich wenig Grund zum Jammern haben, sondern sich sehr, sehr privilegiert fühlen. Nach neun Jahren Dauerstress zwischen Wahlkampf und Bundestag braucht Maria Henk allerdings eine Auszeit und begibt sich mit einem vierwöchigen Mini-Sabbatical auf Sinnsuche und Selbsterkenntnis. Eine Rangerausbildung soll es sein, ganz weit weg aus der Berliner Blase und so landet sie denn nicht nur in Botswana zu einem vierwöchigen Kurs im Okavango-Delta, sie lässt mit ihrem Buch "Als Rangerin im Politik-Dschungel" auch daran teilhaben. Das Ergebnis ist durchaus kurzweilig, bleibt aber ebenso oberflächlich wie es die Ausbildung sein dürfte. Denn es hat schon einen Sinn, dass die wirklichen Ranger, die etwa in Nationalparks für Artenschutz und gegen Wilderei arbeiten, nicht mal eben einen vier-Wochen-Kurs absolvieren. En passant wird dann auch erläutert, dass die