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Es werden Posts vom Dezember, 2022 angezeigt.

Reise durch die Erdzeitalter

 Eines beeindruckt mit immer wieder bei den Veröffentlichungen angelsächsicher Wissenschaftler: Sie haben keine Angst davor, unterhaltsam zu sein, keine Scheu, ihr Wissen so darzustellen, dass es auch für Laien eine sowohl lehrreiche als auch vergnügliche Lektüre ist. Im deutschen Sprachraum scheint dagegen eher die Angst vorzuherrschen, eine mit scheinbar leichter Hand geschriebene Veröffentlichung mangele an wissenschaftlichem Gewicht. Der Paläobiologe Thomas Halliday jedenfalls bleibt mit seinem Buch "Urwelten" dankenswerterweise dieser britischen (und meist auch amerikanischen) Tradition treu. "Urwelten" lädt ein zu einer Zeitreise durch die Erdzeitalter und Halliday schildert die Landschaften lange vor unserer Zeit so lebendig, als habe er Mammuts und Bären, Höhlenlöwen und Pferde etwa in den Landschichten zwischen Alaska und dem fernen Osten Russlands damals selbst zu sehen bekommen. Weiter geht es ins heutige Kenia, zur buchstäblichen Wiege der Menschheit, wo

Menschenrechte, Freundschaft und Loyalität

  Iben  Albinus ist eigentlich eine erfolgreiche Drehbuchautorin, und das merkt man ihrem Debütroman "Damaskus" angesichts seines hohe Erzähltempos, Cliffhanger-Momenten und dramatischen Twists an. Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn das Buch um eine Menschenrechtsaktivistin im beginnenden syrischen Bürgerkrieg zeitnah auch verfilmt wird - nicht nur wegen der sowohl spannenden als auch weiterhin aktuellen Handlung, sondern auch wegen einer athmosphärisch dichten, "visuellen" Erzählweise. Worum geht es? Sigrid Melin, die einst im Irakkrieg für eine dänische Zeitung im Nahen Osten war und aus dieser Zeit noch eine posttraumatische Störung mit sich herumschleppt, hat mit einem Temperamentsausbruch vor laufender Kamera ihre Karriere als Pressesprecherin von Amnesty International vergeigt. Da kommt das Angebot eines alten Studienfreundes durchaus passend: Sigrid soll für einen Telekommunikationskonzern nach Damaskus gehen, gewissermaßen als gutes Gesicht des Ka

Rasende Reporterin trotz knirschender Gelenke

 Es hat immer ein bißchen was von Entblätterung, wenn Journalisten über sich und ihre Arbeit schreiben. Und natürlich über geschätzte oder verachtete Kolleginnen und Kollegen. Das kann unerhaltsam sein, scharfsinnig, eitel - im Fall von Gabriele Riedles "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg" ist es vor allem eine literarische Verfremdung eines Genres, das eigentlich von präziser, ja nüchterner Sprache lebt. Jedenfalls im klassischen Nachrichtenjournalismus, der Fall Relotius hatte - vor dem Sündenfall - ja gezeigt, dass literarische Ausschmückungen die Chancen für prestigeträchtige Journalistenpreise steigern können. Hier wird nun nicht geclaast, hier steht gleich im Untertitel "Eine Art Abenteuerroman". Wie viel die Ich-Erzählerin und die Autorin, abgesehen vom Job und der Arbeit in Krisen- und Kriegsgebieten tatsächlich gemeinsam haben, darüber kann ich nur mutmaßen. Lernen branchenfremde Leser hier etwas vom Alltag von Kriegs- oder Krisenreportern? Auf jeden Fall b

Roman mit Symbolkraft

Es gibt Sätze in Robert Menasses Roman "Die Erweiterung", die strotzen nur so vor Aktualitätsbezug, erklären vieles und scheinen mehr an der Realität als an Fiktion ausgerichtet zu sein. Daneben wird literarisch die Phantasie ausgetobt, aber auch das mit reichlich Symbolkraft. Menasse schaut auf das Gewerk der EU im brüokratiebestimmten Brüssel, er schaut aber auch zu denen, die noch an die europäische Idee glauben und jenen, die die eigenen Hoffnungen und Werte mittlerweile mit Füßen treten. Albanien träumt von Europa, vom nächsten Erweiterungschritt der EU, doch die kommt nicht so recht voran. Liegt es an dem Misstrauen einem muslimischen Land gegenüber? An der Ernüchterung, die sich keine 20 Jahre nach dem EU-Beitritt Polens und Ungarn breitmacht, Ländern, die 1989 für den poltischen Umbruch standen und nun immer stärkere autoritäre Züge aufweisen? Da werden einstige Blutsbrüder zu Feinden, wie der polnische EU-Beamte Adam Pradower und sein alter Freund im antikommunistisc

Hassverbrechen und die Geheimnisse eines Polizisten

  Der Anruf seines Kollegen und Arbeitspartners hätte für den finnischen Polizisten Henrik Oksmann zu gar keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können: Auf einen Nachtklub, der auch Treffpunkt der queeren Szene der Stadt Pori ist, ist ein Bombenanschlag verübt worden. Es gibt fünf Tote. Was Oksmann vor seinen Kollegen um jeden Preis verheimlichen will: Er war selbst in dem Klub, in Frauenkleidern, und er hat ihn offenbar nur kurz vor der Tat mit einem anderen Mann verlassen.  Mit dem Titel "Was wir verbergen" hat der finnische Autor Arttu Tuominen bereits das Leitmotiv gewählt. Unter der Oberfläche brodelt hier so manches Geheimnis, nicht nur Oksmanns Homosexualität. Fast alle Proagonisten haben etwas zu verbergen, sind gezeichnet von einer Vergangenheit voller Konflikte. Im Vorgängerband "Was wir verschweigen", war Oksmann noch ziemlich unsympathisch gezeichnet, ein Einzelgänger, dessen Verhalten an Zwangsstörungen erinnert und der seinem Kollegen Jari Paloviita, de

Namenlos im Nirgendwo

 Keine 150 Seiten ist "Gespräche auf dem Meeresgrund" von Root Leeb lang, doch die Erzählung enthält eine Menge Nachdenkenswertes, umso mehr, als wenig geschieht. Irgendwo auf dem Meeresgrund, ich verorte es am ehesten im Mittelmeer,werden drei namenlose, buchstäblich in Auflösung begriffene Existenzen aufeinander zugetrieben. Ist das  der letzte Funken Leben verlorener Seelen? Die Hintergründe bleiben vage, Erinnerungssplitter, vielleicht aber auch nur Phantasien. Vage bleiben zunächst auch die Protagonisten: Der Eine, der Andere, die Dritte - eher Typen als Individuen, So steht der Eine für die vielen Tausenden, denen das Meer zum nassen Grab geworden ist auf der Suche nach einer besseren Zukunft, während der Andere das gute Leben schon hatte, auf einer Ferienyacht über Bord ging. Und die Dritte - war sie ein Opfer politischer und sexueller Gewalt und Verfolgung, oder waren es ihre Ängste und Phantasien, die in ihren Gedanken gespiegelt werden? Ein wenig erinnern die Gesprä

Ein schwedischer Forrest Gump und der drohende Weltuntergang

  Man könnte Jonas Jonasson vorwerfen, dass seine Bücher alle auf dem gleichen Muster beruhen: Sympatische Losertypen und skurrile Außenseiter, allein beziehungsweise in erstaunlichen Bündnissen, gegen den Rest der Welt. Das Happy end ist garantiert.Und weil die Widersacher so ungleich härter und gemeiner sind, ist ein Jonasson-Roman das literarische Äquivalent zu einer besonders weichen Kuscheldecke oder einer heißen Schokolade mit extra viel Sahne. Und das macht "Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zu Ende der Welt"  bei aller Vorhersehbarkeit genau richtig für die kalte, dunkle Jahreszeit, die angesichts steigender Energiepreise und Inflation für viele Menschen derzeit noch düsterer ausfällt, zur fast schon therapeutischen Lektüre: Es wird schon alles gut ausgehen. Mit dem "nicht ganz so begabten" gutgläubigen Johan hat Jonasson in seinem neuen Buch eine Art schwedichen Forrest Gump geschaffen, der es aus allen Tiefen irgendwie wieder rausschafft und klügere, r

Totgeglaubte leben länger

   Es mag Menschen geben, denen ist der Berliner Kriminalkommissar Gereon Rath nur als Hauptfigur der Fernsehserie "Babylon Berlin" ein Begriff ist. Bei der Lektüre von Volker Kutschers neuem Rath-Roman "Transatlantik" wären die vermutlich verwirrt. Nicht nur, weil im nunmehr neunten Band der Reihe bereits das Jahr 1937 angebrochen ist. Statt der späten Weimarer Republik werden in Nazi-Deutschland immer mehr Freiräume eingegrenzt. Für Charlotte Rath, die Frau des Kommissars, ein zunehmend unerträglicher Zustand - sie verabscheut die Nationalsozialisten. Und anders als in der Fernsehserie ist sie nicht Proletarierkind und Gelegenheitsprostituierte, sondern eine preußische Beamtentochter, die im nationalsozialistischen Deutschland ihren Beruf als Juristin nicht länger ausüben kann. Hier tritt sie aus dem Schatten der Vorgängerromane und ist erstmals die eigentliche Hauptfigur. Doch auch Leser haben Vorteile, wenn sie die vorangegangenen Bücher, vor allem den unmittelb