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Es werden Posts vom Februar, 2024 angezeigt.

Schuld und Sühne?

 Setzt sich Gewalt durch Generationen durch - und was führt dazu, Böses zu tun? Was geht in einem Menschen vor, der nur noch zwölf Stunden zu leben hat? Und was bedeutet sein bevorstehender Tod für die Angehörigen der Opfer? In "Notizen zu einer Hinrichtung" von Danya Kukafka geht es um schwere Kost. Doch ihr Buch über einen Serienmörder und die Frauen, die durch sein Leben berührt wurden, kommt ohne Voyeurismus oder Sentimentalität aus. Es ist auch eine Annäherung an das Böse, ohne zu dämonisieren. Es ist ein Countdown der letzten Stunden von Ansel, der als Mädchenmörder in der Todeszelle sitzt. Zunächst ist er noch zuversichtlich, er glaubt, er hat einen Ausweg gefunden, das Schicksal anderer Todeskandidaten zu vermeiden. Er wird feststellen: Falsch gedacht. Während die Erzählung einerseits Ansels Leben folgt, widmet sich der zweite Erzählstrang den Frauen: Lavender, Ansels Mutter, die als Teenager  in eine gewalttätige Beziehung geriet und schließlich floh, wobei sie ihre

Brandgefährlich ? - vom Umgang mit der AfD

 Der Warnruf kommt zu einer Zeit, als Zehntausende überall in Deutschland gegen die AfD und Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Das hatte Hendrik Cremer beim Schreiben an seinem Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen" über die AfD als rechtsextremistische, nationalistische und antisemitische Partei wohl nicht ahnen können. Das Buch passt aber insofern gut in die Zeit. Der Autor arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte und untermauert seine Thesen mit zahlreichen Fußnoten - tatsächlich ist der Anhang zu den Nachweisen fast so umfangreich wie der eigentliche Text. Cremer argumentiert meinungsstark und erweckt mitunter den Eindruck, Alleinanspruch auf die Wahrheit und das Wissen über den richtigen Umgang mit der AfD zu haben, wenn er etwa auf die Medienberichterstattung oder die Präsenz von AfD-Vertretern in Interviews und Parteirunden eingeht. Aber dazu später mehr. Eher knapp geht der Autor auf die Entstehungsgeschichte der AfD ein, di

Jagdroman der anderen Art

 Mit "Trophäe" ist der belgischen Autorin Gaea Schoeters ein großer Wurf gelungen, obwohl und vielleicht gerade weil er eine Welt und Wertvorstellungen schildert, die laut ihrem Interview auf der Verlagswebseite so gar nichts mit ihrer eigenen Lebensphilosophie zu tun hat. Sie sei eine, die wohl einen Moskito eher an die frische Luft tragen als töten würde. Bei ihrem Protagonisten dagegen kann man sagen: nomen est omen. Der Mann heißt Hunter White und ist in der Tat ein weißer Jäger in Afrika, eigentlich eine selbst langsam aussterbende weil nicht mehr zeitgemäße Alphamännchen-Sorte, die die meisten Menschen überhaupt nicht brauchen. Wo der Roman spielt, bleibt offen, die Andeutungen sprechen für ein Land im südlichen Afrika, doch das bleibt vielleicht absichtlich vage, denn Afrika ist für Hunter nur Kulisse, notwendiges Übel, der Ort eben, an dem er die Tiere findet, die er jagen will. Zu dem Kontinent, zu den Menschen, die dort leben, hat er keinerlei Bezug, sieht sie nur i

Eine Liebe in Zeiten des Bürgerkriegs

 Es ist eine schwierige Liebe, die Fatin Abbas in ihrem Debürtoman "Zeit der Geister" in der fiktiven sudanesischen Stadt Saaraya beschreibt: Es herrscht Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd, und in dem ethnisch segregierten Land ist eine Verbindung zwischen einem Schwarzen und einer arabischstämmigen Sudanesin, zwischen William und Layla nicht vorgesehen, ja nicht einmal eine Begegnung. Doch im Büro einer amerikanischen NGO, in der William als Dolmetscher und Layla als Köchin arbeitet, kommen sie sich langsam näher. Die übrigen Bewohner des Compounds - der amerikanische Kartograph Alex, der der einzige  Weiße weit und breit ist, die Filmemacherin Dena, deren Familien ursprünglich aus dem Sudan stammt und jetzt in den USA lebt, und der zwölfjährige Botenjunge Mustafa beobachten die aufblühende, eher keusche Romanze mit freundlichem Interesse, aber außerhalb des NGO-Geländes müssen die beiden stets die Regeln und Realitäten der Gesellschaft im Blick behalten. Die Handlung spielt

Geist eines schwulen Kriegsfotografen auf der Suche nach dem eigenen Mörder

 Es gibt Bücher - leider nicht so oft, wie ich es gerne hätte - die sind von Anfang an eine Entdeckungsreise voller Überraschungen, Offenbarungen und neuer Einsichten. "Die sieben Monde des Maali Almeida" von Shehan Karunatilaka ist so ein Buch. Ich kannte bisher überhaupt keine Literatur aus Sri Lanka, die Jahre des Bürgerkriegs, der Kampf der Tamil Tigers und die grottenschlechte Menschenrechtsbilanz des Inselstaates sind mir schon eher ein Begriff. Und jetzt dieser kraftvolle, farbige Roman voller Mythen, Poesie und zugleich sarkastisch-realistischer Beschreibungen der Zu- und Missstände! Der Autor verbindet Mystik, Spannung und Phantasie, während die Leser*innen die Reise von Maali Almeida auf der Suche nach einem Mörder verfolgen. Das Problem dabei: Almeida ist tot, gewaltsam umgekommen, vermutlich ein Opfer der Todesschwadronen in den späten 1980-er Jahren. An die letzten Momente vor dem Ableben kann er sich nicht mehr erinnern, statt dessen steht er vor einer Reihe von

Zwischen Wokeness und bürgerlichem Idyll

 Die beiden Schwestern Dieo und Zazie sind altersmäßig sieben Jahre auseinander, doch trotz schwesterlicher Liebe trennen sie Welten: Psychologin Dieo ist verheiratet mit drei Kindern, Zazie hat gerade ihren Master gemacht und jobbt in einem Jugendzentrum. Dieo lebt mit ihrer Familie im bürgerlichen Frankfurter Nordend, Zazie ist aus dem Bahnhofsviertel nach Offenbach gezogen und ein Inbegriff von Wokeness. Muss sie sich als Schwarze Frau schuldig fühlen, weil sie einen weißen Freund hat (der von ihren Freundinnen und Freunden denn auch nur als "white boy" belächelt wird)? Sie hat sogat gegoogelt, welche Schwarzen Frauen weiße Männer daten, sozusagen um sicher zu gehen, dass sie das machen kann. Die Schwestern haben eine weiße deutsche Mutter und einen senegalesischen Vater, der in der Kindheit der Schwestern keine große Rolle gespielt haben zu scheint. Was Zazie nicht daran hindert, ihre afrikanische Identität stets heraushängen zu lassen und völlig zu verdrängen, dass sie b

Weiterleben nach dem Anschlag

 Es gibt Daten, die brennen sich ins Gedächtnis ein - der 11. September, der Tag des Mauerfalls. Aber eben auch der 19. Februar, der Tag des Terroranschlags von Hanau. Vielleicht nicht so global, aber für die Menschen im Rhein-Main-Gebiet war es ein Tag, der das Gefühl von Sicherheit in der multikulturellen Gesellschaft der Region nachhaltig erschüttert hat. Das gilt um so mehr für Menschen wie Said Etris Haschemi: Er überlebte den Anschlag in der Arena-Bar schwerverletzt, sein jüngerer Bruder Nesar wurde getötet, ebenso wie acht andere junge Menschen an den beiden Tatorten. Sein Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte", ist eine Auseinandersetzung mit dem Anschlag und seinen Folgen, mit den Fragen der Angehörigen und Freunde, die im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags nicht zu ihrer Zufriedenheit beantwortet wurden. Hashemi hat mit der Initiative 19. Februar zusammengearbeitet, und das merkt man dem Buch teilweise an - immer dann, wenn Aktivist*innensprech und -d