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Es werden Posts vom August, 2019 angezeigt.

Die Kinder des Borgo Vecchio - brutal, verstörend und mit einem Hauch von Hoffnung

Was für eine Kindheit, was für ein Buch! Mit "Die Kinder des Borgo Vecchio" zeichnet Giossué Calaciura auf gerade knapp 160 Seiten ein verstörend brutales und grausames Bild einer Kindheit in den Gassen der Altstadt von Palermo. In den engen Straßen herrscht das Recht des Stärkeren, es wird getrickst, geraubt, gestohlen, jeder kennt die Geheimnisse so ziemlich jedes anderen. Gewalt wird geradezu gleichgültig akzeptiert und nur wenn es gegen den gemeinsamen Feind, die Polizei, geht, scheint das Viertel zusammen zu rücken. In so einer Umgebung aufzuwachsen, das ist hart, und niemand würde sich wundern, wenn die drei Kinder Mimmo, Celeste und Cristofaro schon früh Härte und Gefühlskälte zeigen würden. Doch die drei, allen voran Mimmo, aus dessen Augen das Viertel beschrieben wird, haben sich noch Unschuld  bewahrt, lassen sich von der Magie des Meeres im Licht der Sterne verzaubern, glauben daran, dass das Pferd Nana zu ihnen spricht. Das große Rollenvorbild, die heimliche V

Was Trump, Brexit und Islamismus mit "Identität" zu tun haben

Einst beschrieb Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte". Das war vor 30 Jahren, und der amerikanische Politikwissenschaftler würde heute sicherlich einräumen, dass es seitdem auch geschichtlich weiter ging. Doch wohin? Viele der Hoffnungen auf den "wind of change" des Jahres 1989 sind ausgeblieben. Manches Land, dass 1989 zum Wegbereiter der unblutigen Revolution wurde, allen voran Polen und Ungarn, liebäugelt heute mit Nationalismus und Populismus. Das Russland Putins ist Lichtjahre von der Aufbruchsstimmung von Glasnost und Perestroika entfernt. Auch der Blick in den Westen kann derzeit nicht hoffnungsvoll stimmen: Ebenfalls Populismus, Fremdenhass, Abschottungsbestrebungen, von Trump, Brexit und neuerdings Boris Johnson mal ganz zu schweigen. Wie konnte es zu all dem kommen? In seinem Buch "Identität" untersucht Fukuyama Identitätsbegriffe und die Vorstellungen von individueller Würde. Dabei unternimmt der Pokitikwissenschaftler auch einen Ausflug

Zwei Schwestern gegen das System - "Sal" beschreibt Flucht in die Wildnis

Sal und Peppa sind so etwas wie zeitgenössische Schwestern von Huckleberry Finn: Auch die beiden Mädchen aus Schottland wachsen auf der Schattenseite der Gesellschaft auf: Die alkohol- und drogenkranke Mutter liebt ihre Töchter von verschiedenen Vätern zwar, ist aber nicht in der Lage, sie wirklich zu versorgen. Dass ihr Freund die 13-jährige Sal seit Jahren missbraucht, hat sie im Alkoholnebel nicht mitbekommen. Sal ist diejenige, die Verantwortung für die kranke Mutter übernimt, den Haushalt schmeißtt, die kleine Schwester beschützt, indem sie einen Innenriegel an ihrer Tür anbringt. Doch sie weiß, es ist nur eine Frage der Zeit, dann wird der Stiefvater auch Peppa missbrauchen. Zur Polizei will Sal nicht gehen - sie misstraut den Behörden, dem Sozialsystem, dass die Schwestern trennen und bei verschiedenen Pflegefamilien unterbringen würde. Die dunkelhäutige Peppa würde dann zu einer afrikanischen Familie kommen, fürchtet Sal, die ihre kleine Schwester über alles liebt. Da gibt es

Midlife Crisis, Klassendenken und verbotene Liebe: "Luana"

André Cabral, brasilianischer Arzt  und schon lange in Großbritannien lebend, steckt mitten in einer Midlife-Krise, als er einen unerwarteten Brief aus seiner Vergangenheit erhält. Gerade hat er sich von seiner Frau getrennt, er fühlt, dass ihm der Zugang zum Leben seiner beiden Töchter entgleitet, alles ist irgendwie Routine geworden. Nun fragt er sich, ob die Frau, die ihm den ersten von mehreren Briefen schreibt, jene Luana sein kann, mit der er einst Tür an Tür lebte und die doch himmelweit von ihm entfernt war. Luana, die Tochter des Dienstmädchens seiner wohlhabenden Familie, die bereits als Jugendliche trotz guter Noten die Schule verließ, um ebenfalls als Dienstmädchen im Haushalt zu arbeiten. Das war eine Zeit, in der der damals 17-Jährige André und sein zehn Jahre jüngerer Bruder Tiago eine schwere Zeit durchmachten: Ihre Mutter war kurz zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, Ihrem Vater, einem Schönheitschirurgen, fehlte irgendwie der Zugang zu seinen Kindern -

Pariser Spaziergänge werden zur Liebeserklärung an die Stadt der Lichter

Es gibt Städte, über die scheint schon alles geschrieben und erzählt, die sind so oft beschrieben, gefilmt, fotografiert worden, dass man denkt: Kenn ich doch schon. Auch ohne je da gewesen zu sein. New York ist sicher so eine Stadt, Paris eine andere. Und dennoch: Manchmal muss man nur einen neuen Ansatz finden, um scheinbar altvertraute Assoziationen doch noch überraschen zu lassen, zu erklären und zu vertiefen. Mit "Uns bleibt immer Paris" hat Serena Dandini eine Liebeserklärung an Paris geschrieben, in alphabetischen Spaziergängen durch die Seine-Metropole und ihre Arondissemments. Tipps nach Hotels oder Restaurants sucht der Leser vergebens, vielmehr teilt Dandini ihre großen und kleinen Entdeckungen, Geschichten und Personen. "Uns bleibt immer Paris", das raunten sich schon Rick und Ilsa im Filmklassiker "Casablanca" zu - schon damals war Paris ein Sehnsuchtsort, der für Freiheitsgeist und die große Liebe stand. Sie hoffe, das Buch werde Leser an

Biografie meets Fiktion - "Meine Zeit mit Eleanor"

Haben sie, oder haben sie nicht? Dass US-Präsident Franklin D. Roosevelt es mit der ehelichen Treue nicht sonderlich genau nahm (wie so mancher seiner Nachfolger im Weißen Haus) ist historisch nicht wirklich neu. Dass seine Frau Eleanor eine wichtige Beraterin und Mitgestalterin seiner Politik war wie nach ihr vielleicht nur Hillary Clinton, ist ebenfalls bekannt. Vieles aus der Sozialpolitik des "New Deal" ist von ihr zumindest beeinflusst. Aber dass sich Eleanor viele Jahre lang mit einer Frau über die Affären ihres Gatten hinwegtröstete, das ist die Frage, die in "Meine Zeit mit Eleanor" von Amy Bloom ganz im Vordergrund steht. Denn wie eng das Verhältnis zwischen Eleanor Roosevelt und der Journalistin Lorena Hickock nun wirklich war, das ist bislang nicht bekannt. Fest steht: Hickock war "out und proud", lange bevor sie den Weg der First Lady kreuzte. Zeitweilig wohnte die Frau in ihren Reportagen das Elend der von der Wirtschaftskrise beschrieb und

Von der Bahnhofshalle in den Konzertsaal - modernes Märchen nach Noten

Die Situation hat sicher jeder schon mal erlebt: Ein Großstadtbahnhof, ein Einkaufszentrum oder eine Flughafenhalle und irgendwo steht ein mehr oder weniger verstimmtes Klavier, an dem jeder, der Lust hat, sich ausprobieren kann. Manch einer klimpert einfach nur auf den Tasten, öfter klingt es sogar ganz nett und manchmal ist da so ein magischer Moment, der das hektische Treiben unterbricht, weil da gerade jemand richtig gut in der zugigen Bahnhofshalle spielt. So einen Moment erlebt Pierre Geithner, Direktort des Pariser Konservatoriums, als er einen jungen Mann im Gare du Nord eine Chopinsonate spielen hört. Geithner, beruflich und privat gerade ziemlich angeschlagen, erkennt ein Ausnahmetalent, wenn er es hört. Sein Versuch, zu dem jungen Mann Kontakt aufzunehmen, geht erst mal ziemlich daneben - gerade schafft er es noch, ihm seine Visitenkarte zuzustecken. So weit der Auftakt von "Der  Klavierspieler vom Gare du Nord" von Gabriel Katz. Klaviertalent Mathieu, der als

Niemandskinder - Rassismuserfahrungen einst und jetzt

Ein Mann auf der Suche nach einer Frau, aber auch auf den Spuren der eigenen Vergangenheit - das ist die Ausgangssituation in Christoph W. Bauers Roman "Niemandskinder". Der Ich-Erzähler kehrt zurück nach Paris, die Stadt, in der er sich einst neu erfinden wollte. Der Österreicher - als Sohn aus Deutschland zugereister Eltern eigentlich ein "Piefke-Kind" träumte einst davon, Dichter zu werden. In Paris folgte er als junger Mann den Spuren der großen Romanciers und Lyriker, fand aber auch Samira, die junge Frau aus der Vorstadt, die als Tochter marokkanischer Eltern erst noch ihren Platz in der französischen Gesellschaft erobern musste. Die junge Frau, die als Migrantenkind mit Härten zu kämpfen hatte, hatte einst die lyrischen Ambitionen ihres Geliebten eher belächelt, die nicht dem Realitätscheck ihres eigenen Lebens standhielten. Die Beziehung zerbrach, der Poet ging zurück nach Österreich und wurde Historiker. Nun ist er zurück, in wissenschaftlicher Sache, abe

Mehr als nur "der Attentäter" - Annäherung einer Enkelin an den 20. Juli

Er ist eíne historische Ikone geworden, auch wenn sein Ziel scheiterte. Hätte Claus Graf von Stauffenberg Erfolg gehabt, wäre das Attentat auf Hitler gelungen - der Zweite Weltkrieg hätte schneller geendent, Millionen von Menschen hätten ihn überleben können, die in den Monaten zwischen Juli 1944 und Mai 1945in Konzentrationslagern ermordet wurden, auf beiden Seiten der jeweiligen Front starben, bei Luftangriffen als Zivilisten ums Leben kamen. Stauffenberg und die übrigen Mitglieder des Widerstadskreis zahlten einen hohen Presi: Verhaftung, Folter, ein sogenannter Prozess vor dem Volkgerichtshof, vor dem die Todesstrafe schon feststand. Selbst nach den Hinrichtungen kannte der Rachedurst des NS-Regimes kein Ende: Die Hingerichteten sollten keine Gräber bekommen, sondern buchstäblich zum Staub der Geschichte werden, die Familien wurden in Sippenhaft genommen, die Kinder wurden von ihren Müttern getrennt, bekamen neue Namen. Für Sophie von Bechtolsheim ist Stauffenberg vor allem "