Midlife Crisis, Klassendenken und verbotene Liebe: "Luana"

André Cabral, brasilianischer Arzt  und schon lange in Großbritannien lebend, steckt mitten in einer Midlife-Krise, als er einen unerwarteten Brief aus seiner Vergangenheit erhält. Gerade hat er sich von seiner Frau getrennt, er fühlt, dass ihm der Zugang zum Leben seiner beiden Töchter entgleitet, alles ist irgendwie Routine geworden. Nun fragt er sich, ob die Frau, die ihm den ersten von mehreren Briefen schreibt, jene Luana sein kann, mit der er einst Tür an Tür lebte und die doch himmelweit von ihm entfernt war. Luana, die Tochter des Dienstmädchens seiner wohlhabenden Familie, die bereits als Jugendliche trotz guter Noten die Schule verließ, um ebenfalls als Dienstmädchen im Haushalt zu arbeiten.

Das war eine Zeit, in der der damals 17-Jährige André und sein zehn Jahre jüngerer Bruder Tiago eine schwere Zeit durchmachten: Ihre Mutter war kurz zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, Ihrem Vater, einem Schönheitschirurgen, fehlte irgendwie der Zugang zu seinen Kindern - das scheint sich eine Generation später für André zu überholen. Eine Reise zur Heimatregion des Vaters im nördlichen Amazonasgebiet soll Kummer heilen und die verbliebene Restfamilie zusammenschmieden.

Das gelingt nur bedingt, doch an jenen heißen, langsamen Tagen verändert sich der Blick Andrés auf Luana, die sich in diesen Ferien um Haus und Küche kümmert. Die einstige Spielkameradin ist zu einer schönen jungen Frau herangewachsen und André fühlt sich immer stärker zu ihr hingezogen. Dabei weiß er, es wäre eine verbotene Liebe, über Rassen- und Klassenschranken hinweg. Auch wenn er in Rio am Strand mit seiner blonden, standesgemäßen Mitschülerin knutscht, geht ihm Luana nicht aus dem Sinn.

Der erwachsene André, der Reise nach Brasilien in den vergangenen Jahren nach Möglichkeit vermieden hat, fühlt sich nun durch die Briefe mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Eine Reise nach Brasilien soll helfen, das Rätsel um die Briefe zu klären. Und es ist auch eine Chance, an alte Fäden wieder anzuknüpfen - den zu lange vernachlässigten Bruder zu besuchen, die Tochter, die gerade auf Rucksacktour in Brasilien unterwegs ist, mitzunehmen auf der Suche nach Jugenderinnerungen.

In ihrem Debütroman "Luana"schreibt die brasilianisch-britische Autorin Luiza Sauma über Heimatlosigkeit und Entwurzelung, über die Suche nach neuer Identität und den Wurzeln der Famili, über ein farbenfrohes Brailien, dass von einem Klassen- und Rassendenken überschattet wird. Es ist nicht vergleichbar mit dem südafrikanischen Apartheid-System, aber es ist halt so: Die Menschen in den Favelas sind überwiegend dunkelhäutig, die Menschen in den teuren Apartmentblocks an der Copacabana überwiegend hellhäutig. Wer als Dienstbote arbeitet, ist höchstwahrscheinlich nicht weiß.

Saumas Eltern sind, ähnlich wie die Romanfigur André, zum Studium nach Großbritannien gegangen und dort geblieben. Vielleicht liegt es daran, dass Luana und ihre Mutter, trotz ihrer Bedeutung für André und seine Familie, merkwürdig blass und unkonturiert bleiben, obwohl athmosphärische Dichte und farbenfrohe Beschreibungen zu den Stärken dieses Romans gehören. So lässt sich vermuten, dass Sauma bei aller Sympathie für die Luanas dieser Welt einfach zu wenig Berührungspunkte mit ihrer Welt hat, um sie mit Leben zu füllen. 

"Luana" ist Liebesgeschichte und Gesellschaftspoträt zugleich, beschreibt ein eigentlich doppeltes Erwachsenwerden und punktet mit den Beschreibungen von Amazonas und Schwüle, Strand und Leichtigkeit, Verzweiflung, Orientierungslosigkeit und ein bißchen Hoffnung. Leicht, mitunter poetische geschrieben und souverän die bei diesem Thema drohenden Kitschfallend umschiffend, macht "Luana" neugierig auf weitere Bücher der noch jungen Autorin.

Luiza Sauma, Luana
Hoffmann und Campe
304 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-455-00001-6

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