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Es werden Posts vom Mai, 2019 angezeigt.

"Der Tod der Wahrheit" - Abrechnung mit dem Trump Amerikas

Michiko Kakutani war jahreland die oberste Buchkritikerin der New York Times - vom Renommee ist das vermutlich in Deutschland nur zu vergleichen mit der Rolle von Marcel Reich-Ranicki für die Literaturkritik. Pulitzerpreisträgerin, und nun selbst Autorin: Ihr Buch "Der Tod der Wahrheit: Gedanken zur Kultur der Lüge" ist eine Abrechnung mit dem Amerika Trumps, mit wissenschaftsfeindlichem und unkritischen Denken, mit trollartiger Polemik, Fake News  und politikhöriger Hofberichtserstattung. Die einzige denkbare Gemeinsamkeit zwischen Kakutani und Trump dürfte sein, dass beide in New York zu Hause sind. Ansonsten dürfte sie vieles von dem verkörpern, was er und seine Anhänger verabscheuen: Die aufgeklärte, intellektuelle, Ostküstengesellschaft, Lust an der Argumentation, belesen, scharfsinnig und scharfzüngig, Verfechterin von Werten und Positionen, die die Trump-Administration zu verdrängen und abzubauen versucht - sei es die Gesundheitsreform Obamas, sei es eine Klima- und

Mörderische Zufälle - 10 Stunden Tot

Pädophile, Neonazis, Pornosucht und ein Serienmörder - Stefan Ahnhem packt viel, sehr viel, in "10 Stunden tot". Düsterer Skandinavienkrimi oder doch eher ein Thriller? Die Genreeinordnung fällt schwer, aber nervenzehrende Spannung ist garantiert, auch wenn ich als Erstlesterin eines Romans der Reihe um den schwedischen Kommissar Fabian Risk ein bißchen ins Schwimmen kam, da ich erst nach und nach das Beziehungsgeflecht der handelnden Personen und der Fälle durchschaute, die noch aus den vorangegangenen Bänden in die Handlung reinschwappten. Das scheint übrigens ein Leitmotiv bei Ahnhem zu sein, denn auch am Ende von "10 Stunden tot" bleibt noch vieles offen, auch wenn über einige Fakten nunmehr Klarheit zu herrschen scheint. Diejenigen Leser, die am Ende eine gelösten Fall und einen überführten Täter erwarten, werden mit  diesem Buch wohl nicht glücklich werden. Aber gleichzeitig: hochspannend, und selbst für skandinavische Verhältnisse tiefschwarz

Abenteurer wider Willen - Dschungel

Besonders abeteuerlustig ist er nun wirklich nicht, der namenlose Ich-Erzähler in Friedemann Karigs Debütroman "Dschungel". Er ist nicht schwindelfrei, Abgründe machen ihm Angst, er ist eher introvertiert und es fällt ihm schwer, auf andere Menschen zuzugehen. Doch ausgerechnet er macht sich nun auf den Weg nach Südostasien, ins Ungewisse und auf der Suche nach Felix, seinem besten Freund, der anscheinend spurlos verschwunden ist. Sein letztes Lebenszeichen kam aus einem Hostel in Kambodscha, und genau dorthin reist nun auch der Abenteurer wider Willen. Die Reise in die Ferne findet ihre Entsprechung in einer Reise in die Vergangenheit, denn in vielen, oft grüblerischen Rückblenden erfährt der Leser von der wechselvollen Freundschaft zwischen Felix und dem Erzähler, die seit der Grundschulzeit andauert. Äußerlich ähneln sich die beiden jungen Männer offenbar, doch vom Charakter her könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Felix, das ist derjenige, der Risiken eingeht, der

Roadtrip mit Oma und Papagei - "Alles ist anders"

Entfremdung, Perspektivlosigkeit, schwierige Familienbande,Aufbruch, Geheimnisse, Sehnsucht, Hoffnung und irgendwie auch Liebe in unterschiedlichen Formen - all das packt Sobo Swobodnik in seinen Roman "Alles ist anders", der durch liebenswert.skurrile Charaktere, lakonischen Witz und Begegnungen unterwegs geprägt ist. Fahrradkurier Magnus, der eher orientierungslos durch den Berliner Großstadtdschungel taumelt, sich als Gelegenheitzslover meist älterere und großbusiger Frauen auslebt. Nun aber muss er erst einmal dem Ruf einer alten Frau ins Schwäbische folgen: Seine Großmutter Therese will ihn sehen und zeigt sich trotz fortgeschrittenen Alters und Gebrechlichkeit ausgesprochen energisch: Sie habe das Grab ihres seit dem Zweiten Weltkrieg vermissten Mannes mit Hilfe des Roten Kreuzes im Baltikum ausfindig gemacht. Da müsse sie jetzt hin. Wie gut, dass Magnus das Auto seiner derzeitigen Gespielin fährt - auch wenn die von größeren Reiseplänen überhaupt nichts ahnt. So re

Westwall - Polizeischülerin als Spielball einer Terrorermittlung

Benedikt Gollhardt hat bisher immer Drehbücher geschrieben - das merkt man seinem Thrillerdebüt "Westwall" auf wohltuende Weise an. Denn so bildstark und szenisch ist der spannende Roman um eine Polizeischülerin, die zum Spielball des Verfassungsschutzes wird, dass  ganz automatisch Kopfkino in Gang gesetzt wird. Mit Rechtsextremismus, Terrorplänen, Manipulation und Machtmissbrauch hat Gollhardt aktuelle Themen audgegriffen und bei aller dichterischer Freiheit acheint das Szenario nicht aus der Luft gegriffen. Polizeischülerin Julia ist das Berufsziel Polizei nicht gerade in die Wiege gelegt worden: Die junge Frau wuchs in einer Bauwagensiedlung von Aussteigern auf, ihr Vater ein ehemaliger Punker, der sie alleine aufgezogen hat. Dass sein Julchen ausgerechnet zu den "Bullen" will, kann der Mann mit dem "ACAB"-Tattoo (All cops are bastards) irgendwie nicht nachvollziehen. Und ein bißchen scheint der manchmal eher naiv-unschuldigen Frau denn auch die Härt

Blauwal der Erinnerung - eine ukrainische Zeitreise

Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk wurde im Jahr 1983 geboren, ihr Roman «Blauwal der Erinnerung» liest sich hingegen stellenweise wie ein Werk der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Sicher nicht ganz von ungefähr, denn die Ich-Erzählerin stellt ihr eigenes Leben dem genau 100 Jahre vor ihr geborenen ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyj entgegen, der als irgendwie tragisch-zauderlicher Dichter, Landadeliger und Gesandter von einer eigenständigen Ukraine träumte. Die Erzählerin, die nach mehreren gescheiterten Beziehungen unter Panikattacken leidet und ihre Wohnung am liebsten gar nicht mehr verlassen würde, stand eigentlich bereits am Beginn einer vielversprechenden literarischen Karriere. Nun aber sieht sie sich als «Königin des Schimmels», die sich in der sicheren heimischen Umgebung ihren Ängsten hingibt («Anstatt meinen Verstand zu trainieren, übte ich mich im Leiden»). Ähnlich neurotisch-besessen wie mit ihrer Panik vor der Außenwelt befasst