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Es werden Posts vom Juli, 2022 angezeigt.

Kosaken, Sowjetmenschen und eine Welt im Umbruch

 Vor wenigen Monaten las ich "Graue Bienen" von Andrej Kurkow und war ziemlich hingerissen. Als nun "Samson und Nadjeschda" als neuester Roman Kurkows erscheint, war für mich klar, dass ich ihn unbedingt lesen wollte. Gleich vorneweg - die Bücher unterscheiden sich beträchtlich, sowohl vom Zeitgefüge als auch in der Erzählweise. Eine Enttäuschung ist "Samson und Nadjeschda" allerdings dennoch nicht, sondern für sich ein spannender und erhellender Roman, für den Kurkow allerdings in die Vergangenheit eintaucht, als gäbe es aus seiner ukrainischen Heimat nicht aktuell unendlich viel Material für einen Schriftsteller. Wobei: Die Unsicherheiten, die Gewalt, der Überlebenskampf, mit dem sich Samson im Kiew nach dem ersten Weltkrieg konfrontiert sieht, ähnelt dem vieler Kiewer gut 100 Jahre später. Wie allgegenwärtig der Tod ist, bekommt Samson gleich auf den ersten Seiten zu spüren. Kosaken töten seinen Vater, als er gemeinsam mit Samson unterwegs zum Schneider

Von einem, der auszog

 Der Klappentext zu "Die Welt" von Arno Camenisch machte aufmerksam und neugierig: Ein Schriftsteller, der zurückblickt auf seine Jahre des Auf- und des Ausbruchs, des Reisens über Kontinente, von Fernweh, Sehnsucht und Liebe, in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts. Erstaunlich, dass in einer Geschichte des Aufbruchs, der 2001 seinen Anfang nimmt, so gar nicht vom 11. September als Zäsur auch für Reisende die Rede ist. Dabei müsste der Autor, irgendwo zwischen Asien, Austrailie und Südamerika, doch ganz konkret mit dem "davor" und "danach" konfrontiert gewesen sein. Vielleicht aber doch nicht so erstaunlich, denn die weite Welt ist eher Kulisse als Ort der Reflektion, die Menschen vor Ort, die anderen Kulturen und Mentalitäten sind nur gelegentlich eine Notiz wert.  Mehr scheint sich der Autor mit sich selbst beschäftigt zu haben, mit anderen Reisenden, mit One night stands, nur bitte nichts Verbindliches, nichts Verantwortliches. Und gleichzeitig beschr

Geschichte und Geschichten - eine Leidenschaft für Bücher

 Es hat lange gedauert, bis ich mit Irene Vallejos Buch "Papyros" fertig war - nicht weil es mir nicht gefallen hätte - ganz im Gegenteil! - sondern weil hier so viel drinsteckt, dass es am besten in kleinen Portionen genossen wird, ähnlich wie Schokolade mit ultrahohem Kakaoanteil. Da ist weniger mehr für den Genuss. Ein Buch über die Geschichte von Büchern und die Geschichte des Lesens und der Schriftstellerei - das war sofort etwas, was mein Interesse erregte. Und obwohl sich Vallejo auf die Welt der Antike konzentrierte, von Alexander dem Großen bis ins alte Rom, so ist "Papyrus" doch gleichzeit  ein Galopp durch die Jahrtausende, mit aktuellen Bezügen, mit Streifzügen und Überlegungen. Für manche mag das ein wenig konfus sein - sind die persönlichen Erinnerungen und Gedankensprünge der Autorin, die sich vom ursprümglichen Thema fortbewegen, wirklich wichtig? Ich denke schon, denn auf diese Weise  habe ich das Gefühl, auch Vallejo besser zu kennen, so wie eine n

Single-Mutter kämpft um Weg aus der Armutsfalle

Die Netflix-Serie "Maid" ist mir unbekannt (ja, es gibt noch Menschen, die haben kein Netflix. Ich gehöre dazu.) Die Beschreibung der Lebensgeschichte von Stephanie Land fand ich aber interessant. Nachdem ich das Buch gelesen habe, habe ich allerdings durchwachsene Reaktionen: Es zeigt einerseits eindrücklich auf, wie schnell der Abstieg in Armut und Obdachlosigkeit drohen, wenn ein Job, eine Beziehung etc wegbricht und plötzlich der Kampf ums Überleben anfängt. Das ist in den USA mit ihrem viel schlechteren sozialen Netz sicherlich noch deutlich schlimmer und schneller als hierzulande, ebenso wie das Stigma von Armut und Bezug von Sozialhilfe.  Auf der anderen Seite fand ich die Autorin an vielen Stellen larmoyant, emotional bedürftig und sich in eine Opferrolle hineinsteigend. Sich als Opfer ehelicher Gewalt darzustellen, weil ihr Ex sie angeschrieen hat und dann jahrelang Panikattacken geltend zu machen - mein Gott, was sollen denn da erst  Frauen sagen, die echte Gewalter

Mafia-Krimi mit der Wucht einer griechischen Tragödie

 Der fatale Sog einer schönen Frau, Eifersucht und obsessive Liebe, Vater-Sohn-Konflikte und zerbrechende Freundschaften, die in Tod und Blutvergießen enden: Der Auftakt von Don Winslow´s Triologie um einen irischen Gangsterclan hat es in sich. "City on Fire" spielt nicht nur mit Zitaten  aus "Der Pate", schon die den einzelnen Abschnitten vorangestellten Zeilen von Homer und Virgil machen klar: dieses Gangsterepos hat etwas von einer griechisches Tragödie und der Trojanische Krieg zwischen den Murphys und den Morettis findet diesmal auf Rhode Island statt. Als Soundtrack glaubt man beim Lesen fast den frühen Bruce Springsteen im Hintergrund zu hören: Blue Collar Rock and Roll, der Abgesang auf den Amerikanischen Traum, während die Werften und Fabriken immer weniger das Einkommen sichern. Dabei ist der Job im Hafen nicht wirklich der  Haupterwerb des Protagonisten Danny Ryan. Er treibt für seinen besten Freund Pat Schulden und Schutzgelder ein, ist mit dessen Schwes