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Es werden Posts vom April, 2019 angezeigt.

Überbitten - faszinierende Selbstbefreiung einer jungen Frau

Was für ein Mut und Durchhaltevermögen, welch gnadenlose Ehrlichkeit und Selbstentblößung auf dem Weg zu einer schmerzhaften Selbstverwirklichung - das war mein Eindruck nach der Lektüre von "Überbitten" von Deborah Feldman. Und was für eine Lebensgeschichte von einer Kindheit in einer ultraorthodoxen Nachbarschaft in Brooklyn, die mit ihren vielen Regeln, Traditionen und sozialer Kontrolle mehr an ein galizisches Shtetl erinnert, bis zum buchstäblichen Neubeginn in Berlin. Ausgerechnet Berlin, der deutschen Hauptstadt, gewissermaßen dem Herzen der Dunkelheit im Kollektivbewusstsein ihrer Großmutter und ihrer früheren Gemeinschaft von Holocaust-Überlebenden. Deborah Feldman aufgrund ihres Geburtsortes eine amerikanische Autorin zu nennen, scheint irgendwie falsch - ihre Muttersprache war Jiddisch, die Familientradition geprägt von der untergegangenen alten Welt, angefangen vom Gulasch der Großmutter über die ewigen Schatten der ermordeten Familienangehörigen. Mit Anfang 20,

Sklaverei, Kolonialbeginn und der Traum von Selbstbestimmung - "Die Frauen von Salaga"

Aminah wächst als Tochter eines Schuhmachers auf einem Gehöft in dem westafrikanischen Marktflecken Botu auf. Wurche ist die Tochter eines lokalen Herrschers, stolz, wild und gänzlich unwillig, sich dem klassischen Frauenbild zu fügen. Beide sind "Die Frauen von Salaga" in dem Roman der ghanaischen Schriftstellerin Ayesha Harruna Attah, der Ende des 19. Jahrhunderts im prekolonialen Ghana spielt, wo aber bereits der "scramble of Africa" absehbar ist. Beide Frauen träumen von einem Leben, das ihnen traditionell verwehrt bleibt - Aminah würde gerne ihren Vater auf seinen Reisen begleiten, wünscht sich, sein Handwerk zu lernen. Wurche wiederum, die eine bessere Reiterin ist als ihr eher verträumter Bruder, möchte ebenfalls an Wettrennen teilnehmen, ihre Stimme im Rat der Männer erheben, Entscheidungen treffen. Doch es kommt ganz anders. Sklavenjäger überfallen Botu und die angrenzenden Dörfer. Aminah und ihre Geschwister werden auseinandergerissen, mit anderen Skla

Disfunktionale Patchworkfamilie - Alina Bronsky´s "Zopf meiner Großmutter"

Maxims Großmutter, sie ist eine echte Babuschka. Allerdings nicht mit geblümten Kopftuch und Kittelschürze, sondern als ehemalige Tänzerin mit einem langen, hennagefärbten Zopf, dem Titelgeber für den Roman "Der Zopf meiner Großmutter" von Alina Bronsky. Sonst aber ist die russische Großmutter, die mit ihrem Mann und dem kleinen Maxim als jüdische Kontingentsflüchlinge aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, eine echte Naturgewalt: laut, brachial, überbehütend, überängstlich, überbordend. Eine Frau, die auch ohne den auffälligen roten Zopf weder zu übersehen noch zu überhören ist und deren Verständnis von Kinderfürsorge dem kleinen Jungen eine ganze Serie peinlicher Erlebnisse garantiert. Trotz des Aufbruchs in eine Welt steckt die Oma mental noch immer in der alten Heimat fest, sowohl die Deutschen in der neuen Umgebung als auch die Juden im Flüchtlingswohnheim sind ihr suspekt. Zu denen gehörten sie nämlich nicht, versichert sie Maxim, nur durch eine

Kriminalistisches Puzzle in einer Kleinstadt in den Hamptons - "Das Verschwinden der Stephanie Mailer"

Mit "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" hat sich Joel Dicker erneut einen Romanort geschaffen, der weit weg von seiner eigenen Schweizer Wirklichkeit entfernt ist. Das Städtchen Orphea steht nicht nur für die angebliche Idylle des amerikanischen Kleinstadtlebens, sondern liegt zudem in den Hamptons, der klassischen Sommeridylle gutbetuchter New Yorker, die den heißen Sommern in Manhattan entkommen wollen. Hierhin verschlägt es den Polizisten Jesse Rosenberg gerade mal eine Woche vor seiner Pensionierung. Orphea war vor 20 Jahren der Schauplatz eines brutalen vierfachen Mordes - der erste Fall für den damals blutjungen und noch unerfahrenen Polizisten und seinen Partner Derrek Brown. Doch ausgerechnet in diesem Fall, für den er beruflich Lorbeeren einheimste und der der Beginn einer Erfolgsgeschichte war, habe er den falschen Täter ermittelt, versichert ihm die junge Journalistin Stephanie Mailer kurz vor ihrem titelgebenden Verschwinden, Das lässt Rosenberg keine Ruhe -

Vor Hitzewellen und Starkregen - ist Extremwetter die neue Normalität?

Als Klimawissenschaftlerin in Oxford ist Friederike Otto trotz Philosophiestudium nicht gerade im Elfenbeinturm reiner Wissenschaft stecken geblieben. Im Gegenteil - als Mitbegründerin der "attribution science" - die deutsche Bezeichnung Zuordnungswissenschaft klingt ähnlich sperrig - setzt sie auf ein Tempo, das für die klassische Arbeit an wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen beängstigend erscheinen mag. Aber dann: Mit den Schwerpunkten Klimawandel und Extremwetter befasst sie sich mit einem Thema, das selbst an die Geschwindigkeit einer losgetretenen Lawine erinnert. Ihr Buch "Wütendes Wetter" stellt diese Arbeitsinhalte nun auch interessierten Laien von. Zugegeben: Die Erläuterungen zu Forschungsmethodik und Entwicklung dieses speziellen Wissenschaftszweigs sind ein bißchen langatmig, und die Vorliebe der Autorin für Gendersternchen macht das Ergebnis nicht gerade lesefreundlicher. Doch im weiteren Verlauf des Buches lohnt sich das Durchhalten, wenn es um

Eine Frau erfindet sich neu - "Golden Cage"

Von außen wirken Faye und Jack wie ein Traumpaar: Eine prachtvolle Wohnung in einem der besten Stadtteile Stockholms, von Faye liebevoll und persönlich eingerichtet, eine kleine Tochter, das Unternehmen, das Jack mit einem Freund erfolgreich aufgebaut hat - doch das ist nur Fassade, das Bild, das sie anderen präsentieren, Faye, die früher einmal Mathilda hieß, aus einem kleinen Ort stammte, wo jeder wusste, dass der Vater ihre Mutter und die Kinder schlug und niemand etwas unternahm, hatte früher einmal ganz andere Pläne gehabt. Als sie nach Stickholm kam, um zur Wirtschaftshochschule zu gehen, erfand sie sich neu. Faye, nicht Mathilda, wollte sie sein. Mathilda, die vor einer schlimmen Vergangenheit geflohen war, deren Bruder Selbstmord begangen hatte und deren Vater für den Mord an der Mutter im Gefängnis saß, sollte es nicht mehr geben. Faye würde das perfekte Leben haben, beruflich erfolgreich sein, einen Mann für die perfekte Familie kennenlernen. Nun aber sitzt Faye im golden

Wenn jeder verliert... "Durch Feuer und Wasser"

Psychotherapeutin Siri Bergman braucht selbst psychologischen Rat: Ihre Ehe steckt in einer tiefen Krise, nachdem sie es zu einem One Night Stand mit einem Kollegen kommen ließ. Beim Paartherapeuten suchen sie und ihr Mann einen Ausweg, doch die Verletzungen sind tief. Und als hätte sie nicht schon genug mit ihrem Beziehungsleben zu kämpfen, muss sie mit ihren Kollegen einen Fall bearbeiten, der der Mutter eines Sechsjährigen hart zusetzt: Zwei Kinder sind spurlos verschwunden, möglicherweise entführt. Die neunjährige Nova-Li und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Liam lebten  bei getrennten Pflegefamilien. Das Jugendamt hat die Kinder der drogenabhängigen und psychisch kranken Mutter entzogen. Voran ging einen Geschichte von Misshandlung und Vernachlässigung. Hat die Frau, die sich von Sozialamt und Polizei verfolgt fühlt, die Kinder zurückgeholt und versteckt? Sind die Geschwister in die Gewalt eines Pädophilen geraten? Dann tauchen Bilder im Internet auf, auf denen die Kinder zu sehen

Rat der Gerechten - Schatten eines Pogroms und Rätsel um verschwundene Frauen

In ihrer polnischen Heimat wird Katarzyna Bonda auch schon mal als “Königin des Kriminalromans” gepriesen. Wer daher auf der Suche nach spannender Unterhaltung Bondas neuen Roman “Der Rat der Gerechten” in die Hand nimmt, könnte womöglich enttäuscht werden. Denn obwohl Profilerin Sasza Zaluska auf der Spur eines Serienmörders in einen ganz anderen Fall hineinstolpert, ist dieser Roman viel mehr als ein Krimi. Es geht um Schuld und Verrat, um Geschichtsleugnung und Suche nach Wahrheit, um Vergangenheitsbewältigung und ethnische Konflikte in der ostpolnischen Region Podlachien, die vor dem Zweiten Weltkrieg ein Schmelztiegel der Nationalitäten und Religionen war. Schon die Widmung macht klar: dieses Buch ist für die Autorin auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und einem blutigen Kapitel der jüngeren polnischen Vergangenheit, dessen Aufarbeitung in den vergangenen Jahren an erneutem Aufleben von Nationalismus zu scheitern droht. Die Leser des “Rat

Oh wie so reißerisch.... "Staatsfeind"

Der Klappentext klang spannend: Ein ehemaliger Elitesoldat wird von einem alten Kameraden kontaktiert und in ein ungeheuerliches Komplott eingespannt, dass bis hinein in die höchsten Ebenen von Politik, Finanzwesen und Sicherheitskreisen hineinreicht. "Wenn Iwo sie stoppen will, muss er sich entscheiden: Opfere ich mich selbst, oder opfere ich alle anderen?" lautet die Frage, der sich der ex KSK-Soldat Iwo Rezick in Veit Etzolds Thriller "Der Staatsfeind" stellen muss. Dass Verschwörungen ein dankbares und auflagenträchtiges Thema sind, wussten ja auch schon Dan Brown und Robert Ludlum für sich zu nutzen.  Nach der Lektüre des mehr als 450 Seiten langen Buches bleibt allerdings zumindest bei mir ein übler Nachgeschmack zurück. Ein reißerischer Thriller, das ist das eine. Und so geht es hier um eine Verschwörung, bei der sich rechtsradikale Kreise, Erben alter und mittlerweile verstorbener Nazis, mit Islamisten eines neuen Kalifats verbünden. Gemeinsames Ziel: Die