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Geburtsstunde einer neuen Weltordnung - "Wendezeit"

Je nachdem, wen man fragt, markierte das Jahr 1989 eine Sternstunde oder ein Desaster des ausgehenden 20. Jahrhunderts. In ihrem Buch "Wendezeit" zeigt Kristina Spohr beides und nimmt den Leser auf rund tausend Seiten mit auf einen fulminanten zeitgeschichtlichen Ausflug in die jüngste Vergangenheit. Auch bei mehr als 100 Seiten Fußnoten ist ihr Buch bei aller wissenschaftlichen Tiefe und Sorgfalt  äußerst lesbar auch für diejenigen Lser, die vor historischer Theorie zurückschrecken mögen. "Wendezeit" bringt denen, die die 80-er Jahre und das große Wendejahr 1989 bewusst erlebte, dank zahlreicher Details viele Erinnerungen und Einzelheiten zurück, die angesichts der Dynamik der Ereignisse nur allzu leicht in Vergessenheit geraten mochten. Und denjenigen, die nur aus den Geschichtsbüchern wissen, was damals geschah, gibt sie einen erklärenden Hintergrund und viele Details zu den Akteuren, Staaten und jeweiligen Interessen. Besonders gelungen ist dabei die Verbind

Coming of Age im Bürgerkrieg - "Milkman"

Es ist eine zerrissene, disfunktionale Welt, in der die namenlose 18-Jährige Protagonistin des Romans "Milchmann" der nordirischen Autorin Anna Burns heranwächst. Autobomben Busentführungen Kontrollen der paramilitärischen "Verweigerer" wie auch der Soldaten des "Landes jenseits der See", eine Gemeinschaft, die ebenso kontrollierend wie schützend wirkt, eine Trennwand die die Stadtvierteln "der Unsrigen" und der "Anderen" voneinander trennt. Selbst wenn man nicht schon aus dem Klappentext wüsste, dass Anna Burns in Belfast geboren wurde,  wecken gleich die ersten Buchseiten Bilder aus dem nordirischen Bürgerkrieg,  vermutlich 1970-er Jahre. Doch die Stadt, das Land die Menschen bleiben fast immer namenlos. Die Ich-Erzählerin gilt in der Familie nur als die "Mittelschwester", die aud Erste, Zweite und Dritte Schwester gefolgt ist. Die drei jüngsten Schwestern gelten sogar als Gruppe zusammengefasst nur als die "Kleinen S

Mit dem Wind - Reiseliteratur und Sachbuch

Es gibt Menschen, für die sind Namen wie Buchara und Samarkand, Timbuktu oder Sansibar magisch, wecken Fernweh  und Neugier. Für Nick Hunt, britischer Journalist und Reiseschriftsteller, wecken Namen wie Scirocco oder Mistral, Passat oder Hamsin ähnliche Sehnsüchte. Sein Buch "Mit dem Wind" ist literarische Reisebeschreibung, Sachbuch zu naturwissenschaftlichen Phänomenen und Betrachtung über Geschichte und Gegenwart, Geografie und Menschen entlang seines Wegs gleichermaßen. Ein Buch, das neugierig macht und fasziniert durch die Neugier und Offenheit des Autors. Eine Karte habe einst seine Neugier geweckt, berichtet Hunt. Dort waren nicht nur die Länder Europas eingezeichnet, sondern auch seine Winde, ihre Richtungen und typischen Stärken und schon die Tatsache, dass sie Namen trugen, verlieh ihnen aus seiner Sicht etwas Erhabenes: "Sie klangen für mich wie jemand, dem man unterwegs begegnen könnte. Diese ungestüm vom Himmel gerabschießenden Pfeile zeichneten Routen au

Toxische Familienbeziehungen - "Je tiefer das Wasser"

Mit ihrem Debütroman "Je tiefer das Wasser" hat die russisch-amerikanische Autorin Katya Apekina eine komlexe und komplizierte Familiengeschichte geschrieben, die wie für die mit längeren durchgehenden Texten überforderte Generation von digital natives gemacht scheint. Wie bei den schnellen Schnitten eines Musikvideos wechseln Erzähler und Zeitlinien, wenn sie in kurzen Episoden das toxische Beziehungsgeflecht schildert, in das die Schwestern Mae und Edith hereinwachsen. Und auch wenn die Sicht von Mae und Edith  am häufigsten gezeigt wird, verschieben sich die Perspektiven immer wieder, so dass ein gutes Dutzend Erzähler immer wieder mal für ein paar Seiten zu Wort kommt. Edie und Mae, zu Beginn des Romans 16 und 14 Jahre alt, werden aus dem heimischen Louisiana nach New York verpflanzt, um nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter beim Vater zu leben, einem berühmten Schriftsteller, der die Familie vor Jahren verlassen hat. Während Edie den fremden Vater ablehnt und zurück