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Es werden Posts vom Februar, 2022 angezeigt.

Grauzonen in Tel Aviv

 Auch wenn viele Israelis in dem Ruf stehen, besonders forsch, ja geradezu ruppig aufzutreten - der Polizist Avi Avraham ist eher ein Vertreter der leisen Töne, einer, der genau hinschaut, auch eigene Unsicherheiten zulässt und dessen ruhige Art leicht übersehen lässt, dass er ausgesprochen hartnäckig ist und sich nicht mit einfachen Lösungen zufrieden gibt. In Dror Mishanis Roman "Vertrauen" ist das bei einer scheinbaren Bagatellermittlung der Fall: Ein Tourist ist aus seinem Hotel verschwunden, ohne zu bezahlen. Angebliche Verwandte haben sein Gepäck abgeholt. Doch es gibt Ungereimtheiten, die Avraham stutzig machen - und dann behauptet die Tochter des angeblichen Touristen obendrein, ihr Vater arbeite für den Mossad, also den israelischen Geheimdienst. Liegt es an dem Thema, der schattenhaften Welt der Spione? Ein wenig erinnert mich Avi Avraham an George Smilley und Dror Mishani an die subtilen Hinweise und die literarische Spannung eines John LeCarré - nur eben am Mittel

High noon in den Alpen

 Wilhelm Tell, als Freiheitsdrama Schillers zu Freiheitskampf und Tyrannenmord früher einmal Teil des bildungsbürgerlichen Pflichtunterrichts, sagt den meisten jüngeren Lesern unserer Zeit wohl eher wenig - und wenn, klingt die Sprache des Klassikers ein wenig angestaubt. Doch jetzt gibt es wieder einen Tell, kompakt, knackig, gewissermaßen die schnell geschnittene Videoclip Alternative zur mehrstündigen Bühnenfassung. Und mit Joachim B. Schmidt hat dieser nun bei Diogenes erschiene Tell nicht nur einen Svhweizer Verlag, sondern auch einen Schweizer Autor. Erstmals habe ich Schmidt durch seinen formidablen Island-Roman "Kalman" kennengelernt. Wie der naive Robbenfänger Kalman ist auch sein Tell ein Außenseiter, ein Eigenbrötler, der auf seinem entlegenen Bergbauernhof nach seinen eigenen Regeln lebt. Und wie bei Kalman spielt die Natur, in diesem Fall die Alpen, eine beeindruckende (Neben-)Rolle mit eindrücklicher Beschreibung. Als "Blockbuster in Buchform" bewirbt

Im Land der Lügen - Die Jagd

 Der belarussische Autor Sasha Filipenko hat bereits in seinen vergangenen Romanen eindrücklich die Verbindung eines kritischen Blicks auf die Verhältnisse in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Abrechnung mit den dortigen Missständen und eine gewisse literarische Verfremdung der gesellschaftlichen Realität gezeigt. Sein neues Buch, "Die Jagd" bildet da keine Ausnahme. Diesmal stellt er die abgehobene Welt machtnaher Oligarchen  und ihrer Helfershelfer der kleinen Blase von Aufklärung bewegter Intellektueller gegenüber. Eine Jagd findet hier auf gleich mehreren Ebenen statt: als Dystopie des Schriftstellers und Journalisten Anton, der sich mit seinen Recherchen mit den Reichen und Mächtigen anlegt, als Jagd nach Geld und Reichtum des ehemaligen Sportredakteurs Lew, der als Kind den Niedergang der Familie von Einfluss, Geld und Privilegien in bittere Armut miterlebte und nie wieder arm sein will, die Jagd des Oligarchen Wassili Slawin auf jeden, der seine Position bedroh

Familienschicksal zwischen Verfolgung, Exil und Neuanfang - Rückeroberung

 Es ist eine Familiengeschichte wie aus einem Spielberg-Drama: Der aus Westfalen stammende deutsche Jude Manfred Gans durchquert unmittelbar nach der deutschen Kaputulation im Mai 1945 Deutschland und fährt in die befreite Tschechoslowakei, um dort seine Eltern im Konzentrationslager Theresienstadt zu suchen und eine Rückreise für sie zu ermöglichen. Es ist eine private Mission, in britischer Uniform und unter dem Namen Frederick Gray, den er in den vergangenen Jahren als Mitglied einer Elite-Aufklärungseinheit getragen hat, die aus Männern wie ihm zusammengesetzt war: Deutsche Juden, die sich durch Emigration in Sicherheit brachten, zum Teil über die Kindertransporte nach England verschickt wurden. Ihre Sprachkenntnisse waren nicht zuletzt für Verhöre gefangener deutscher Soldaten gefragt. In "Rückeroberung" schildert der Dokumentarfilmer Daniel Huhn die dramatische Familiengeschichte, konnte dabei auf Zeitzeugen-Interviews und umfangreiche Archivmaterialien zurückgreifen. E

Globalgeschichte der Meere

 Entdecker und Abenteurer, Händler und Eroberer, Siedler und Forscher – in David Abulafias monumentalem Buch „Das unendliche Meer“ wird auf mehr als 1000 Seiten die große Weltgeschichte der Ozeane geschildert. Dabei hätte das Buch noch wesentlich umfangreicher werden können, hat sich der Autor doch überwiegend auf Historisches beschränkt und darauf verzichtet, etwa darüberhinaus die menschlichen Eingriffe auf die Meeresökologie zu beschreiben. Doch auch so ist das mit zahlreichen Karten und historischen Abbildungen versehene Buch ein spannender Rundumschlag in die Bedeutung, die die Meere für den die Entwicklung von Zivilisationen, den Austausch zwischen Kulturen und die Internationalisierung von Handelsströmen spielten. Auffällig dabei ist, dass Abulafia auf Eurozentrismus verzichtet und chronologisch vorgeht, mit dem Pazifik als dem ältesten Ozean beginnt und vom Jahr 176 000 vor unserer Zeit in die Besiedlung pazifischer Inselgruppen einsteigt. Dabei zeigt er auch auf, welchen d

Gewollt. Geliebt. Gesegnet - queere Erfahrungen in der (katholischen) Kirche

 Mehr als 100 Menschen haben sich vor wenigen Wochen als queere Katholiken geoutet. OutinChurch nannte sich die Aktion, die eine Menge Mut erforderte. Hoffentlich nicht so sehr, weil das Outing im privaten Bereich Freundschaften beenden oder Anfeindungen auslösen könnte, aber auf jeden Fall wegen der arbeitsrechtlichen Konsequenzen für diejenigen, die als Religionslehrer*innen, Gemeindereferent*innen, Kirchenmusiker*innen aber auch Ordensleute oder Angehörige geistlicher Berufe tätig waren und dies auch bleiben wollten. Das mehr oder weniger zeitgleich zum öffentlichen Outing erschienene Buch "Gewollt. Geliebt. Gesegnet", herausgegeben von Wolfgang Rothe zeigt die inneren und äußeren Kämpfe, mit denen sich queere Katholik*innen konfrontiert sahen und sind. Es sind überwiegen Zeugnisse Betroffener, die ihren oft langen und schwierigen Weg zu (Selbst-)Akzeptanz schilderten, die Angst vor einem Outing im kirchlichen Umfeld, das Versteckspiel in Gemeinde und Ämtern. Es dürfte kei

Ost-West-Geschichte und Mediensatire: Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße

  Michael Hartung, Ossi, Ex-Eisenbahner, Ex-Braunkohlenmalocher, erfolgloser Videothekenbetreiber mit dem Hang zu ein paar Bieren zu viel, ist eine eher unwahrscheinliche Heldenfigur. Bis er eines abends Besuch von einem ehrgeizigen Journalisten erhält, der die Story seines Lebens wittert, passend zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. Hartung sei es doch gewesen, der eine Massenflucht der Passagiere eines S-Bahn-Zuges ermöglichte, indem er eine ganz bestimmte Weiche gen Westen stellte. Ein Held, Stasi-Verhör und Untersuchungshaft inklusive. Hartung hört sich zu Beginn von Maxim Leos "Der Held von Bahnhof Friedrichstraße" diese Schilderung schon fast vergessener Ereignisse verblüfft an. Klar, da war was mit einer Weiche gewesen, Blöde Verwechslung, ziemlich peinlich. Er hatte mal wieder ein bißchen zuviel getrunken und obendrein verpennt. Und dann war da auch noch ein Bolzen abgebrochen und irgendwie war eine S-Bahn in den Westen gelangt. Aber scharfes Stasi-Verhör? Er hat nur neb

Der Traum von einer geschlechtergerechten Kirche - Frauen ins Amt!

 Vor wenigen Tagen endete die dritte Vollversammlung des Synodalen Wegs, des Reformprozesses der katholischen Kirche in Deutschland, den ich wie die beiden vorangegangenen in meinem Hauptberuf beobachtete. Die engagierten, auch emotionalen Diskussionen, das Ringen um Veränderungen - das ist dort schon spannend.  Vielleicht ist es für viele Menschen in der heutigen, säkularisierten Gesellschaft eine Randdiskussion - die Rolle der Kirchen im Alltag ist lämgst nicht mehr wie zu den Zeiten unserer Großeltern. Und angesichts des Ausmaßes des Missbrauchsskandals, der Vertuschungen und Mängel bei der Aufarbeitung könnte man vielleicht sagen, dass das Vertrauen längst weg ist. Und doch - in den Foren und Diskussionen wird um eine andere Kirche gestritten. Besonders fallen dabei immer wieder die Stimmen engagierter, kluger und beharrlicher Frauen auf, die Rechte einfordern und mehr Geschlechtergerechtigkeit. Dass da ganz selbstverständlich der Gendersternchen-Knacklaut mitgesprochen wird und es