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Es werden Posts vom September, 2021 angezeigt.

Kindheit im Diplomatenviertel von Daressalaam - "Mai bedeutet Wasser"

  Familiendynamik. jugendliche Rebellion, Missbrauchsgefahr und Eltern-Kind-Konflikte, aber auch Mythen und Erzählungen im Rahmen einer afrikanischen Familiengeschichte - all das kommt in "Mai bedeutet Wasser" zusammen. Die schwedische Autorin Kayo Mpoyi wurde im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo geboren und wuchs in einer Diplomatenfamilie in Tansania auf, ehe sie mit ihrer Familie im Alter von zehn Jahren nach Schweden zog. Herkunft und Kindheit in Ostafrika hat sie auch mit der Ich-Erzählerin Adi gemeinsam, kein Wunder also, dass sie das Buch ihrem sechsjährigen Ich widmete. Das Leben Adis im Diplomatenviertel hat allerdings nicht den Glamour, den man im allgemeinen damit verbindet. Zum einen ist ihr Vater wohl eher keiner der Top-Beamten der Botschaft, zum anderen wirkt sich die politisch instabile Lage in der Heimat auch auf die diplomatische Community aus - das Gehalt bleibt mal wochenlang, mal mehrere Monate aus, die botschaftseigenen Häuser k

Billige Pflegekräfte aus dem Osten und das Schicksal der Eurowaisen

 Die EU-Osterweiterung brachte für viele Menschen Hoffnungen auf mehr Wohlstand, Geld für eine bessere Zukunft, für Bildungschancen für ihre Kinder, für Träume von einem Morgen, die die Opfer von heute erträglich machten. Doch vor allem im Fall der Elternpaare und Frauen, die ihre Kinder bei Verwandten zurückließen, hatte die Erfüllung dieses Traums einen hohen Preis. Von "Euro-Waisen" war die Rede. In seinem Buch "Wenn ich wiederkomme", beschreibt der italienische Autor Marco Balzano eine rumänische Familie und die Härten, die die Arbeit der Mutter als Pflegekraft in Italien für alle bedeutet. Daniela geht heimlich nach Mailand. Ihr Mann, der wenig Unterstützung leistete, bleibt ebenso zurück wie die beiden Kinder, die  16-jährige Tochter, fleißig und zuverlässig, die unversehens in die Rolle der Ersatzmutter geschubst wird, und den zehnjährigen Sohn, der die Mutter für den als Verrat empfundenen Aufbruch mit Liebesentzug und immer größer werdenden materiellen Ford

Krieg als Katalysator für weibliche Selbstermächtigung - "Der Schattenkönig"

 Bei militärischen Konflikten aus den 1930-er und 40-er Jahren denken die meisten von uns vermutlich als erstes an den Zweiten Weltkrieg. Nicht so Maaza Mengiste, die Autorin des historischen Romans "Der Schattenkönig". Kein Wunder - die Invasion von Truppen aus dem faschistischen Italien in Äthiopien, dem einzigen nicht von Kolonialismus betroffenen Landes in Afrika, stellte eine Zäsur in dem Land am Horn von Afrika dar.  Mengiste war noch ein Kind im Vorschulalter, als ihre Familie aus Äthiopien floh vor dem damaligen Regime, heute lebt sie in New York.  Beim Lesen des Romans, an dem Mengiste zehn Jahre lang arbeitete, wird klar, dass die Geschichte ihres Heimatlandes sie auch im Exil beschäftigte. Doch "der Schattenkönig" ist mehr als ein Roman über einen Krieg, denn vor allem verdeutlicht er Sozialstrukturen und Genderrollen, eine Welt, in der Männer Herrscher sind und starke Frauen sich eine Nische erkämpfen müssen, wenn sie sich nicht mit der zugeschriebenen R

Tragikomischer Lernprozess eines alten weißen Mannes - Barbara stirbt nicht

 Das Leben des Rentners Walter Schmidt läuft seit Jahrzehnten in eingespielten Bahnen. Die Rollenverteilung zwischen ihm und Ehefrau Barbara war stets klar - Er ging arbeiten, sie versorgte Haushalt und Kinder. Seit er in Rente ist, mäht er vielleicht den Rasen, macht kleinere Reparaturen und geht mit dem Hund - ist es ein Wunder, dass es sich um einen deutschen Schäferhund handelt? - Gassi, während Barbara putzt, kocht und für den Haushalt zuständig ist. Bis zu jenem Morgen, als er Barbara im Bad vorfindet,  mit einer blutenden Wunde und merkwürdig schlaffen Gesichtszügen. Normal wäre es vermutlich, nun einen Schlaganfall zu vermuten und den Notarzt zu rufen. Nicht so in Alina Bronskys tragikomischen Roman "Barbara stirbt nicht". Walter verdrängt die Krise - später wird sich herausstellen, dass er noch ganz andere Dinge verdrängt hat, , fühlt sich nur als Opfer, weil kein Kaffee gekocht ist. Er weiß nämlich nicht, wie das geht. Und wenn er mal ein Brötchen schmieren muss, lä

Identitäten, Zuschreibungen und ein Skandal - Identitti

 Ironische Distanz ist in der seit einiger Zeit laufenden Debatte um Identitätspolitik eher selten, eine gewisse Verbissenheit und Selbstgerechtigkeit dagegen leider ziemlich häufig. Das macht die Lektüre von Mithu Sanyals Roman "Identitti", nun auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2021, so erfrischend anders. Denn ja, man kann mit schrägem Humor und einem gewissen Augenzwinkern über Selbst- und Fremdwahrnehmung, Identitätszuschreibung und Suche nach Wurzeln schreiben und trotzdem das Thema ernst nehmen. Sanyal, bisher Sachbuchautorin, hat das in ihrem Romandebüt klar bewiesen. Die Frage "Woher kommst du?" nervt die aus dem Ruhrgebiet stammende und in Düsseldorf studierende Nivedita schon lange. Die Frage, wer und was sie eigentlich ist, beschäftigt die Tochter einer  deutschen Mutter mit polnischen Wurzeln und eines indischen Vaters schon seit ihrer Kindheit, Wie gerne wäre sie doch ein richtiges indisches Mädchen, was irgendwie viel cooler ist als Ruhrg

Spione, Trolle und Wahrheitssuche unter fake news - "russische Botschaften2

 Journalisten sind eitel und hungrig nach Anerkennung - ganz besonders in der speziellen Blase der Hauptstadt- und Investigativjournalisten. Das ist die Welt, die Yassin Mussarbash in seinem Thriller "Russische Botschaften" beschreibt und die er aus eigener Erfahrung - der Mann arbeitet schließlich in dem Milieu, über das er schreibt - gut kennen dürfte.  Merle Schwalb, die Protagonistin des Buches, ist da keine Ausnahme. Dass sie in das elitäre Investigativteam aufgenommen ihrer Zeitung aufgenommen wird, ist gewissermaßen der Ritterschlag für die ehrgeizige Journalistin. Wie weit die Investigativen von der Allgemeinheit der Redaktion entfernt sind, zeigt sich schon allein am gesiezten Umgang - und das in einer Branche, in der üblicherweise Duzkultur herrscht. Als in einem Neuköllner Restaurant ein Mann von einem Balkon stürzt und buchstäblich neben ihr aufschlägt, wittert Merle eine Story. Erst geht sie von Clan-Kriminalität aus - Neukölln eben. Dann stellt sich heraus, der

Zwischen Wissenschaft und Glauben, Entfremdung und Depression - "Ein erhabenes Königreich"

 In ihrem Debütroman "Heimkehren" folgte die amerikanisch-ghanaische Autorin Yaa Gyasi mehreren Generationen einer Familie zwischen Goldküste und Amerika, zwischen Versklavung  und dem Leben in Westafrika. "Ein erhabenes Königreich" ist weniger epochal angelegt, behandelt aber ebenfalls afroamerikanische Diasporaerfahrung und die besonderen Herausforderungen für eine junge Frau, die als Kind von Einwanderern, einer alleinerziehenden schwarzen Mutter und mit der Erfahrung des frühen Drogentods ihres älteren Bruders eine wissenschaftliche Karriere anstrebt. Gifty, die Ich-Erzählerin, ist in einer Kleinstadt in Alabama aufgewachsen, wo ihre Mutter Mitglied einer evangelikalen Kirchengemeinde war. Der Vater ist schon früh nach Ghana zurückgekehrt, hat dort eine neue Familie gegründet - doch Gifty hat nur vage Erinnerungen an ihn.  Obwohl in den Südstaaten aufgewachsen, sind Gifty und ihre Familie die einzigen Schwarzen in der Gemeinde und in der Nachbarschaft (das fand