Zwischen Wissenschaft und Glauben, Entfremdung und Depression - "Ein erhabenes Königreich"

 In ihrem Debütroman "Heimkehren" folgte die amerikanisch-ghanaische Autorin Yaa Gyasi mehreren Generationen einer Familie zwischen Goldküste und Amerika, zwischen Versklavung  und dem Leben in Westafrika. "Ein erhabenes Königreich" ist weniger epochal angelegt, behandelt aber ebenfalls afroamerikanische Diasporaerfahrung und die besonderen Herausforderungen für eine junge Frau, die als Kind von Einwanderern, einer alleinerziehenden schwarzen Mutter und mit der Erfahrung des frühen Drogentods ihres älteren Bruders eine wissenschaftliche Karriere anstrebt.

Gifty, die Ich-Erzählerin, ist in einer Kleinstadt in Alabama aufgewachsen, wo ihre Mutter Mitglied einer evangelikalen Kirchengemeinde war. Der Vater ist schon früh nach Ghana zurückgekehrt, hat dort eine neue Familie gegründet - doch Gifty hat nur vage Erinnerungen an ihn.  Obwohl in den Südstaaten aufgewachsen, sind Gifty und ihre Familie die einzigen Schwarzen in der Gemeinde und in der Nachbarschaft (das fand ich angesichts der Bevölkerungszusammensetzung in den Südstaaten jetzt wenig plausibel, aber nun ja) und erst nach und nach, als ihr Bruder, ein hoffnungsvoller Basketballspieler nach einem Sportunfall starke Schmerzmittel erhält und in die Sucht abgleitet, hört sie die Bemerkungen über "diese Leute" und registriert, dass Schwarze gemeint sind.

Giftys Mutter hält an ihrer Muttersprache Twi, an ghanaischer Küche und afrikanischer Kleidung fest, während sie sich in Pflegejobs abrackert. Nach dem Tod des Sohnes an einer Überdosis versinkt sie in einer schweren Depression, muss in klinische Behandlung - und Gifty muss einen Sommer lang zu der bislang unbekannten Verwandtschaft nach Ghana. Die Begegnung mit den afrikanischen Wurzeln ist für Gifty ein Kulturschock - sie hadert mit der Sprache, vermisst ein ordentliches Badezimmer mit  funktionierender Dusche und auf dem Marktstand ihrer Tante zu arbeiten ist für sie eine völlig neue Erfahrung, ebenso wie die evangelikalen Gottesdienste in Ghana, gegen die sich die ihrer Heimatgemeinde in Alabama  deutlich unemotionaler abfallen. 

Doch während Gifty heranwächst, hadert sie mit ihrem Glauben. An der Universität muss sie erkennen, das Religion und Religiosität belächelt werden - mit einer einzigen Bemerkung ist sie bei ihrer Arbeitsgruppe als "Jesus-Freak" unten durch.  In einer entscheidenden Phase ihrer Promotion kommt die Mutter unangemeldet zu Besuch, erneut depressiv und weigert sich zu reden und zu essen. 

Während Gifty darum kämpft, ihre Mutter zu motivieren, das Bett zu verlassen und sich wieder dem Leben zu stellen, reflektiert sie die Vergangenheit ihrer Familie, die Herausforderungen ihres Lebens, den Ehrgeiz, sich und anderen beweisen zu müssen, die beste zu sein. Der Feminismus einer Freundin ist ihr dabei fremd - sie will Top-Naturwissenschaftlerin sein, nicht spezifisch in ihrer Rolle als Frau oder Schwarze. Dennoch ist sie nicht blind für ihre Umgebung an der Elite-Universität Stanford, wo die weißen Männer klar in der Überzahl sind.

Laut herausgebrüllte Gesellschaftskritik ist nicht die Sache der Autorin, Selbstgerechtigkeit wie in so manchem gut gemeinten, aber nicht unbedingt gut gemachten Buch über Rassismuserfahrungen ebensowenig. Dafür überzeugt sie mit klugen Beobachtungen, genauem Blick und einer überzeugenden Protagonistin mit Ecken und Kanten, die sich ihrer eigenen Sozialisation stellt und nicht nur wissenschaftliche Antworten sucht sondern auch eine vorsichtige Annäherung an ihre einstige Spiritualität. Kein Buch der einfachen Lösungen und Schwarz-Weiß-Malereien, sondern vielschichtig und ausgesprochen lesenswert. 


Yaa Gyasi, Ein erhabenes Königreich

Dumont Buchverlag, 2021

304 Seiten, 22 Euro

978-3-8321-8132-1


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