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Es werden Posts vom September, 2019 angezeigt.

Von Mitläufern und Tätern - "Und ich war da"

Wie kann man ihn am besten beschreiben, den Bauernsohn August Unterseher, Ich-Erzähler in Martin Beyers Roman "Und ich war da"? - Opfer der Ereignisse, "nur" ein Mitläufer, Mittäter und Gehilfe bei Kriegsverbrechen und Nazi-Willkür? Der Erzähler, der Jahrzehnte später auf seine Jugend im Nationalsozialismus zurückblickt, scheint da mitunter selbst unentschlossen, mal beschwichtigend, mal die eigene Rolle durchaus selbstkritisch einschätzend. Wie so viele seiner Generation war er jahrzehntelang sprachlos, hat geschwiegen über die Vergangenheit und seine Rolle im Krieg. Nun sucht er doch noch nach Worten, für seine Tochter, die wissen will, wer er eigentlich ist, so lange das nocg möglich ist. Anders als der ältere Bruder, der voller Überzeugung bei der Hitler-Jugend aktiv ist, sieht August die Zeit in der nationalsozialistischen Jugendorganisation vor allem als willkommene kleine  Flucht vor dem prügelnden und trinkenden Vater. Der lässt die mutterlosen Söhne schuf

Roman, Romantik und blutige Kriegswirklichkeit - "Propaganda"

Als einen "Hans im Glück" kann man den Romanhelden John Glueck wohl nicht bezeichnen. Der Ich-Erzähler aus Steffen Kopetzkys Roman "Propaganda" hat zwar im Zweiten Weltkrieg eine der für die amerikanischen Truppen blutigsten Schlachten im Hürtgenwald in der Eifel überlebt, doch ein Einsatz 30 Jahre später in Vietnam hat ihm eine üble Hautkrankheit eingebracht. Er sei zu lange einem Entlaubungsmittel ausgesetzt gewesen, verrät Glueck, der zu Beginn des Romans in einer Gefängniszelle sitzt. Doch in dieser schuppigen, eiternden, sich schälenden Haut, die er selbst nicht mehr als die eigene erkennt, fühlt er sich ohnehin wie lebendig eingemauert. Was für einen Unterschied macht da schon ein Gefängnis in Missisippi, zumal der liberale Gefängnisdirektor in seinem rätselhaften Gefangenen den verhinderten Schriftsteller erkennt und ihm Papier und Schreibzeug zur Verfügung stellt. Denn Glueck, als Kind einer deutsch-amerikanischen Familie an der Lower East Side aufgewach

Achtsamer Angriff auf die Lachmuskeln - "Achtsam morden"

Achtsamkeit kann den Alltag entschleunigen und sollte eigentlich dazu beitragen, die innere Balance wieder herzustellen, Stresssituationen zu vermeiden, eine Bewältigungsstrategie zur Überwindung innerer und äußerer Belastungen schaffen. Und wenn diese Belastungen aus einer schweren Ehekrise, einem mordlustigen Mafioso und lebensbedrohlichen Situationen bestehen? Dann hilft nur achtsames Morden! Der Anwalt Björn mag in allen Fragen des Strafrechts, der Steuertricks und diverser Abschreibungsmodelle bewandert sein, Maßanzüge tragen und in einer prestigeträchtiigen Kanzlei ein hohes Gehalt kassieren. Glücklich ist er nicht: Seine Ehe steckt in einer schweren Krise, seine geliebte kleine Tochter sieht er durch die stressige sechseinhalb Tage-Arbeitswoche kaum im Wachzustand, und da er den "Bäh-Klienten", Gangsterboss Dragan, vertritt, ist er immer noch nicht in den Kreis der Partner berufen worden. Eher skeptisch und um seine Ehe doch noch zu retten, besucht er

Poesie der Einsamkeit und der Marschlandschaft - "Der Gesang der Flusskrebse"

Delia Owens hat einen großen Wurf gestartet mit ihrem Buch "der Gesang der Flusskrebse". Ihr Buch ist sowohl eine Coming of Age-Story, Außenseiterstudie, Justizdrama und poetische Landschafts- und Naturbeschreibungen. Das ist viel. Das könnte ziemlich leicht ziemlich daneben gehen oder sentimental-kitschig geraten. Zum ausgesprochenen Gewinn für die Leser tut es das aber nicht. Statt dessen lässt das Buch nicht nur am Lebensweg einer faszinierenden Frauenfigur teilhaben, die sich in widrigsten Verhältnissen behauptet, bietet spannende Unterhaltung und zugleich faszinierende Einblicke in die Natur des Marschlandes von North Carolina. Möglicherweise gibt es davon noch mehr, als ich mitbekommen hatte denn ich habe den "Gesang der Flusskrebse" in der Hörbuch-Version kennengelernt, wobei die Sprecherin Luise Helm mit ihrer Interpretation des Textes es eindrucksvoll geschafft hat, ein Kopfkino loszutreten und dem Buch buchstäblich eine faszinierende Stimme zu geben. S

Ein Buch als Stolperstein - "Vergesst unsere Namen nicht"

Mit "Vergesst unsere Namen nicht" hat der norwegische Autor  Simon Stranger gleich in doppelter Hinsicht eine norwegische Familiengeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt - zum einen die einer jüdischen Familie und ihrer Erfahrung von Verfolgung, Exil und Flucht, zum anderen die eines norwegischen Kollaborateurs und Nazi-Spions. Der Zufall will es, dass die Familie eines von den Deutschen ermordeten Juden ausgerechnet in das Haus in Trondheim zieht, indem die "Rinnan-Bande" nicht nur ihr Hauptquartier, sondern auch ihren Folterkeller hatte. Es ist eine Stolperstein-Zeremonie, die den Erzähler erkennen lässt, dass das Schicksal des Urgroßvaters seinen Kindern nicht gleichgültig sein darf, dass jedes Opfer der Nazis ein zweites Mal stirbt, wenn sein Name vergessen wird. Und so wie die Stolpersteine auf den Straßen die Namen der ermordeten Nachbarn in Erinnerung rufen, so wird die Schilderung der Familiengeschichte zum literarischen Stolperstein, zut Erinnerung n

Der Siebenbürger Tate - "Otto"

Die "jiddische Mamme" ist vielleicht ein klischeeüberladenes Stereotyp, aber in der überbehütenden, überfordernden, übernahen Übermutter steckt häufig auch ein Kernchen Wahrheit, schließlich sind es die Mütter, die nicht nur die Hüterinnen der Sabbatkerzen sind und die Trägerinnen der Religion im Sinne der Halacha, sondern als Mittlerinner der Tradition auch die Hüterinnen von Erinnerungen und Trauma. Wobei ich mir nicht immer ganz sicher bin, ob es etwa einen Unterschied zur "matka polska" gibt, der überbehütenden, überfordernden, übernahen, die sich ebenfalls ungefragt einmischt in das Leben ihrer Kinder, auch wenn die schon längst graue Haare bekommen. Andererseits gab es da zumindest vor dem Zweiten Weltkrieg eine erhebliche Schnittmenge. In "Otto", dem mitunter gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen treibenden Roman von Dana von Suffrin geht es nur ganz am Rande um Mütter. Hier ist es Otto, der gebürtige Siebenbürger, der "jiddishe Tate",

Poesie des Schreckens - "Das Haus aus Stein"

Gerade mal knapp 120 Seiten umfasst Asli Erdogans "Das Haus aus Stein", eigentlich ein schmaler Band. Und doch habe ich on and off zwei Monate gebraucht, mich durch dieses Buch zu lesen. Nicht, weil es schlecht war oder mich nicht fesselte - im Gegenteil. Aber diese eigenartig poetische Erzählung über Verzweiflung und folter, über den Verlust von Individualität, das Wegdriften des "Ichs", die Einsamkeit hinter Gefängnismauern, das Ausgeliefert sein - das lässt sich nur in kleinen Dosen ertragen. Angesichts der zahhlreichen politischen Gefangenen in der heutigen Türkei, angesichts der Prozesse auch gegen Schriftsteller und Journalisten, angesichts der Tatsache, dass aus Asli Erdogan inhaftiert wurde, scheint "Haus aus Stein" von bedrückender Aktualität. Dabei ist das Buch in der Türkei schon vor zehn Jahren erschienen. Wie schreibt man über das, das eigentlich unaussprechlich ist, das Innerste der Betroffenen berührt, aufreißt, umdreht? Wie schreibt man

Dekadente Zeiten im kolonialen Ostafrika - "Kenia Valley"

Karen Blixen hatte bekanntlich eine Farm in Afrika, am Fuße der Ngong-Berge. Der Vater des 15-Jährigen Theo zieht als neuer Direktor der Ostafrikanischen Eisenbahn in den 20-er Jahren aus Schottland in die britische Kolonie Kenia. Welch ein Kontrast ist das zu dem Leben, das Theo und seine jüngere Schwester Maud bisher kannten! Die Familie lässt sich nicht etwa in Nairobi nieder, wo so viele Kolonialbehörden angsiedelt werden, sonder zieht nach Naivasha im Rift Valley. Zebras und Giraffen in der Nachbarschaft sind plötzlich die neue Normalität, ebenso afrikanische Dienstboten. Für Theo, der wegen seiner eher mädchenhaften Erscheinung in der Schule gemobbt wurde, bedeutet Kenia ein Neuanfang - auch mit Freunden, die er zunächst grenzenlos bewundert, allen voran den Aristokraten Freddie und die mondäne Amerikanerin Sylvie, beide anderweitig verheiratet, aber offensichtlich ein Paar. Der hoffnungslos in Sylvie verliebte Teenager ist verwirrt, aber überglücklich, dass diese doch deutlich

Wenn Liebe des Guten zuviel wird - Psychothriller "Atme!"

Nile glaubt, endlich das große Los getroffen zu haben mit Ben: Er ist ihr Seelengefährte, der Mann, mit dem sie zusammengehört, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben aufbauen will. Sie planen die Hochzeit, auch das perfekte Kleid ist gefunden, doch just als sie es anprobiert, verschwindet Ben spurlos. Nile kann es nicht fassen, dass keiner das Verschwinden, ja den wartenden Ben bemerkt haben will. Die Polizei hält sie für hysterisch, an Bens Arbeitsplatz macht sich niemand Sorgen und Bens Freunde, die in letzter Zeit ohnehin rar geworden sind, blocken ab oder verweigern den Kontakt zu Nile. Im Glück der beiden gibt es nämlich einen Schönheitsfehler: Damit sie heiraten können, muss Ben erst einmal von seiner ersten Frau Flo geschieden werden. Für Nile ist Flo die Feindin, die Frau, auf deren Seite sich alle von Bens Freunden gestellt haben. Doch sei´s drum: In ihrer perfekten Zweisamkeit genügen sich die beiden vollkommen. Oder ist vielleicht alles ganz anders? In der K