Von Mitläufern und Tätern - "Und ich war da"

Wie kann man ihn am besten beschreiben, den Bauernsohn August Unterseher, Ich-Erzähler in Martin Beyers Roman "Und ich war da"? - Opfer der Ereignisse, "nur" ein Mitläufer, Mittäter und Gehilfe bei Kriegsverbrechen und Nazi-Willkür? Der Erzähler, der Jahrzehnte später auf seine Jugend im Nationalsozialismus zurückblickt, scheint da mitunter selbst unentschlossen, mal beschwichtigend, mal die eigene Rolle durchaus selbstkritisch einschätzend. Wie so viele seiner Generation war er jahrzehntelang sprachlos, hat geschwiegen über die Vergangenheit und seine Rolle im Krieg. Nun sucht er doch noch nach Worten, für seine Tochter, die wissen will, wer er eigentlich ist, so lange das nocg möglich ist.

Anders als der ältere Bruder, der voller Überzeugung bei der Hitler-Jugend aktiv ist, sieht August die Zeit in der nationalsozialistischen Jugendorganisation vor allem als willkommene kleine  Flucht vor dem prügelnden und trinkenden Vater. Der lässt die mutterlosen Söhne schuften. Als er August einmal bewusstlos prügelt,  lässt sich der herbeigerufene Arzt nur zu bereitwillig von eine Unfall überzeugen. Das kriegerische HJ-Gehabe ist dennoch nicht die Welt des eher verträumten August, der gerne zeichnet und davon träumt, Naturforscher zu werden. Sein Freund Paul wird in der HJ gemobbt - der Junge hasst den Nationalsozialismus. Als er mit seiner Familie aus Deutschland flieht, bittet er August, mitzukommen. Doch August kommt nicht zu dem nächtlichen Treffpunkt. Wäre das seine Chance gewesen?

Auch der Kontakt zu einer jungen Frau, die sich als Mitglied einer kommunistischen Widerstandszelle entpuppt, hätte ein Wendepunkt in Augusts Leben sein können, eine Entscheidung gegen das Regime. Doch wieder bleibt er passiv, einer, der daneben steht und die Dinge ihren Lauf nehmen lässt. Eine verpasste Chance? Eine Garantie des eigenen Überlebens?

Als Soldat der Wehrmacht an der Ostfront erlebt August den Krieg von seiner fürchterlichsten Seite. Nicht nur die Einsatztruppen der SS sind verantwortlich für den Terror in den besetzten Gebieten, an Massenerschießungen und Verbrechen an Zivilisten. Auch August wird nicht nur Zeuge, sondern Mittäter dieser Morde. Der junge Mann, dessen Kindheit von Gewalt geprägt war, ist nun selbst einer von denen, die für Gewalt und Terror stehen, einer, der als ausgezeichneter Schütze auch im Kampf gegen Partisanen eingesetzt wird. Was macht das mit einem Menschen? Ist das die Zeit, die August zu dem um Worte verlegenen Mann macht? Im Rückblick wird ihm klar, dass er sich nach dem Tod wie nach einer Befreiung gesehnt haben muss, doch als eine junge Russin auf ihn schießt, überlebt er und kehrt als kriegsuntauglich auf den väterlichen Hof zurück.

Hier lässt Autor Beyer den großen, starken Bauernjungen voller Lebensüberdruss jedoch nicht. Ausgerechnet in dem Moment, als sich August das Leben nehmen will, kommt der oberste Scharfrichter des Reiches vorbei. Krankheitshalber ohne den benötigten Gehilfen, rekrutiert er August. So wird der verhinderte Selbstmörder zum Zeugen der Hinrichtung der Geschwister Scholl. Die Mitglieder der "Weißen Rose", etwa im gleichen Alter wie August, beeindrucken ihn tief - doch auch diesmal bleibt der Wendepunkt, bleibt eine innere Abkehr, aus. Und gerade darin liegt das Erschreckende dieser Figut eines Mitläufers - er hätte so viele andere Perspektiven gehabt, hatte Alternativen aufgezeigt bekommen. Doch stets wählt er den Weg des geringsten Widerstands und macht einfach das, was ihm gesagt wird. Und verstrickt sich genau deshalb in Schuld.


Martin Beyer, Und ich war da
Ullsten Verlag, 2019
192 Seiten, 20 Euro
ISBN 9783550200397

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