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Es werden Posts vom März, 2023 angezeigt.

Die Schreibblockade und der Mord

 Den Namen Jenny Lund Madsen werde ich mir merken! Denn bereits der Debütroman der Autorin, "30 Tage Dunkelheit", hat mich hundertprozentig überzeugt. Atmosphäre, Plot, Charaktere, Setting - das war alles stimmig, spannend und zudem richtig gut geschrieben. Dazu ist allerdings zu sagen: Es mag der Debütroman sein, als Drehbuchautorin hat Lund mit cliffhangern, Twists und Dialogen bereits Erfahrung - davon profitiert auch ihr Debüt als Romanschriftstellerin. Dunkel geht es in skandinavischen Krimis ja oft zu, hier gibt es auch das passende Wetter: Der überwiegende Teil der Handlung spielt in einem isländischen Dorf im November. Ausgerechnet hierhin verschlägt es die renommierte, aber kommerziell erfolglose Schriftstellerin Hannah. Ihre Prosatexte sind zwar literarisch anspruchsvoll, setzen in den Buchhandlungen eher Staub an. In den vergangenen Jahren hatte sie eine Schreibblockade, ihr nicht wirklich eingestandener Alkoholismus dürfte das Seinige dazu beigetragen haben. Trotz

Eine große Liebe

 Der Jurist Tom, Langzeitstudent und gewissermaßen ehemals gutistuiert und privilegiert, ist nach dem Selbstmord seines überschuldeten Vaters plötzlich darauf angewiesen, seinen Leebnsunterhalt zu verdienen. Wie gut, dass er trotz des angepeilten nächsten Bar Exams in den USA schon zwei Studienabschlüsse vorweisen kann. Die Härten des Arbeitslebens werden in seinem ersten Broterwerb  jedenfalls so abgefedert, dass der Protagonist in Martin Suters Roman "Melody" wenig Grund zur Klage hat: Nationalrat Peter Stotz beauftragt ihn für ein üppges Gehalt nicht nur mit der Abwicklung seines Nachlasses. Auch Kost und Logis sind inbegriffen - in einer herrschaftlichen Villa am Zürichberg und dank der Kochkunst der sizialianischen Köchin Mariella ein tägliches Geschmacksfeuerwerk. Stotz erweist sich als Arbeitgeber, der angenehm im Umgang ist. Schnell merkt Tom, dass der alte Mann, dem die Ärzte nur noch maximal ein Jahr lang geben, in seiner Villa einen regelrechten Schrein einer junge

Ein Unglück, privates Leid und öffentlicher Druck

 Daniel Glattauers Buch "Die spürst du nicht"  beginnt wie ein großbürgerlicher Sommertraum: Zwei befreundete Ehepaare samt Nachwuch fahren gemeinsam zum alljährlichen Sommerurlaub in die Toskana, genießen auf der Terrasse mit Poolblick den ersten Prosecco. Das Leben kann so schön sein, der perlende Wein überdeckt fad gewordene Beziehungen. Diesmal ist die Gruppe erweitert um Aayana, eine Klassenkameradin der 14-jährigen Sophie-Luise, in der Klasse eher isoliert. von So-Lu aber als neue beste Freundin auserkoren - schon wegen der krassen äußeren Kontraste, die auf Instagram abgehen werden bei ihren Followern.  Da wird schon ein Akzent dieses Romans gesetzt: Der Schein und das Sein, die öffentliche Begleitung privaten Lebens, das im Fall der Strobl-Martineks durchaus auch öffentlich ist, denn So-Lus Mutter ist eine grüne Abgeordnete und wird als künftige Umweltministerin gehandelt. Die Idylle bricht zusammen, als es zu einem Umglück kommt: Aayana ertrinkt im Pool, so leise und

Zerrissene Familie, zerrissenes Land

 Es hat Wochen gedauert, bis die Belgierin Lydia auf die Nachricht ihres Stiefsohns Immanuel reagiert hat, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Damals verließ ihr Lebensgefährte Joachim die Kinderärztin, nahm den 13-Jährigen mit, für den Lydia die einzige Mutter war, die er je kannte: Edyth, seine biologische Mutter, war bei der Geburt gestorben.  Es war nicht das übliche Beziehungsende von zwei Menschen, die sich auseiandergelebt haben. um das es in Anneleen van Offels Debütroman "Hier ist alles sicher" geht: Lydia und Joachim verwendeten als gemeinsame Sprache Englisch - und das ist eigentlich schon der erste Hinweis, dass der aus Polen stammende Joachim in Belgien eigentlich gar nicht heimisch werden wollte. Denn Joachim, der von der eigenen Familiengeschichte nur Bruchstücke kennt, entdeckt seine jüdischen Wurzeln. Der sechsjährige Imanuell muss auf einmal Kippa tragen und zum Thora-Unterricht. Bis Joachim eben beschließt, dass nur Israel seine Heimat sein k

Maritimer Heimatroman - "Zur See"

 Über Jahrhunderte lang verlief das Leben nach einer klaren Ordnung: Die Männer fuhren hinaus auf die See, auf Walfang, waren monatelang weg oder kamen gar nicht mehr zurück. Die Frauen warteten, zogen die Kinder groß, lebten mit der Angst und der Hoffung, ob das Schiff samt Ernährer sicher in den Hafen wieder einlaufen würde. Zäune aus den Knochen von Walen künden von der stolzen Vergangenheit - doch inzwischen sind sie beliebte Fotomotive für Touristen. Die Nachfahren der Walfänger sind zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden. Und weil alte Kapitänshäuschen oder überhaupt jegliche Immobilie als Zweit- und Ferienwohnsitz gefragt ist, wird Wohnraum für viele Inselbewohner unbezahlbar. In ihrem Roman "Zur See" beschreibt Dörte Hansen an Hand der alteingesessenen Familie Hansen diese Inselgesellschaft im Umbruch. Lakonisch, unaufgeregt, beobachtend und leicht distanziert ist der Schreibstil und so spricht auch Nina Hoss als Sprecherin der Hörbuchfassung. Angenehm zu hören

Liebe, Pflicht und Coming Out

 Barrington, ein fescher Mittsiebiziger und vor Jahrzehnten von der Karibikinsel Antigua, nach Großbritannien eingewandert, hat bereits in der Jugend  seine eine, große Liebe gefunden. Und es ist nicht Carmel, mit der er seit über 50 Jahren verheiratet ist und mit der er zwei Töchter hat. Denn Morris, die große Konstante in seinem Leben, ist ein Mann - und die karibische Diaspora ist auch fern der Heimat ausgesprochen homophob.In ihrem Buch "Mr Loverman" beschreibt Bernardine Evaristo diese große, lebenslange Liebe, die ein halbes Jahrhundert lang und länger nur im Verborgenen stattfinden darf. Barry ist nicht der Einzige, der unter der Situation leidet. Carmel, die sich als 16-jährige in Barry verliebte, hadert mit dem Ehemann, der sie, wie sie überzeugt ist, mit anderen Frauen betrügt. Dabei ist sie die erste und einzige Frau, mit der Barry jemals Sex hatte.  Mit der Treue zu Morris hat er es trotz aller Liebe in jüngeren Jahren nicht zu genau genommen, zu sehr lockten die

Tragödie voll Brachialgewalt

 Es gibt Bücher, die überraschen und ziehen ihre Leser von der ersten Seite an in einen Sog. "Das dritte Land" von Carina Sainz Borgo war für mich so ein Buch. Es kommt mit der Wucht einer griechischen Tragödie, ist kraftvoll geschrieben, voller Härten und doch auch immer wieder poetisch und voll spröder Schönheit. Etwa wenn die Protagonistin und Ich-Erzählerin Angustias ihre erste Begegnung mit Visitacion hat, der Betreiberin eines illegalen Friedhofs im Niemandsland zwischen Großgrundbesitzer und Guerillagebiet irgendwo in Südamerika: Eine schwarze Madonna, die auf einer Schutthalde gelandet ist. Es ist ein Leben voller Entbehrungen, Krankheiten, Gewalt und Tod, das hier geschildert wird: Angustias war mit ihrem Mann und den Zwillings-Babies unterwegs, in ein anderes Land, in eine bessere Zukunft. Doch als ihre Kinder sterben, sucht sie nach einem Stück Land, an dem sie sie begraben kann, und dort bleibt sie. "So war das Ende der Welt: Ein Haufen Staub aus den Knochen,

Apokalyptischer Roadtrip durch den Donbas

 Pascha, die Hauptfigur in Serhij Zhadans Buch "Das Internat", muss sich in einem unerklärten Krieg bewähren, doch von den Kriegshelden eines Ernest Hemingway könnte der Mittdreißiger aus dem ukrainischen Donbas nicht weiter entfernt sein: Er ist Lehrer, gilt wegen eines Herzfehlers als Invalide, ost zudem stark kurzsichtig und hat eine Fehlbildung an den Fingern. Nicht die besten Voraussetzungen schon zu normalen Zeiten, doch nun ist es die Zeit nach 2014 und im Osten der Ukraine ist Krieg, ein Krieg, der freilich nicht erklärt wurde und der vor allem für die Menschen im Westen Europas erst acht Jahre später als real angesehen werden wird. Kriegszeiten sind ungesunde Zeiten, vor allem für jemanden wie Pascha, der sich wegen seines Herzfehlers doch nicht aufregen soll. Und doch bricht er auf aus dem Haus seines Vaters, in dem er nach jeweils gescheiterten Ehen mit seiner Schwester lebt, um den 13-jährigen Neffen aus einem Internat am anderen Ende der Stadt nach Hause zu holen

Wenn die Wut größer ist als die Angst - der Kampf im Iran

 Es gibt Länder, die erstarrt scheinen in einem menschenfeindlichen System, in dem die Angst vor der eisernen Faust der Staatsmacht größer zu sein scheint als der Wunsch, etwas zu ändern. Länder, in denen die Aufrechten und Mutigen sich sehr einsam und allein fühlen müssen. Der Iran gehörte zweifellos dazu. Seit einige Monaten gibt es aber auch erstaunliche Bilder Mutes, gerade sehr junger Menschen: Mädchen, die als Zeichen des Protestes ihre langen Haare abschneiden, auf der Straße das Kopftuch schwenken, wie zum Hohn gegen die Sittenpolizei und die Mullahs: Seht her, wir haben keine Angst mehr für euch.. Wie hoch der Preis für diesen Mut sein kann, beweisen die Todesurteile gegen Demontrant*innen, die Berichte über Verhaftungen. Dass iranische Sicherheitsbehörden foltern, m fragwürdige Geständnisse zu erzielen, ist schon lange bekannt. Mit ihrem Buch "Unser Schwert ist Liebe" hat Gilda Sahebi die feministische Revolte im Iran beschrieben.  Die Ärztin und Journalistin ist na

Hilflose Helferin

 Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Das muss auch die Ich-Erzählerin in Theresa Pleitners Debütroman "Über den Fluss" erkennen, eine junge Psychologin, die direkt im Anschluss an ihr Studium ihre erste Beschäftigung in einer Unterkunft für Geflüchtete beginnt, mit großem Enthusiasmus.  Sie kommt mit Idealen - boshaft könnte man sagen, sie habe sich von Kindheit an auf eine Karriere als Gutmensch vorbereitet, spielte sie doch mit jenen, die irgendwie anders waren und auch im späteren Leben scheint sie Liebhaberinnen und Liebhaber nach dem Pronzip möglichst großer Diversität ausgesucht haben. Nun aber der Praxisschock - die erfahrene Kollegin erscheint ihr in abgestumpfter Routiniertheit erstarrt, zu wenig Widerstand entfaltend gegen die Strukturen, die Flüchtlinge letztlich vor allem verwalten. Vor allem anfangs entsteht der Eindruck, die Erzählerin empfinde sich da als irgendwie besser, als eine, die Sand im Getriebe des Asylsystems sein will, die eher verächtlich

Ermittler mit reichlich Lebenserfahrung - der Donnerstagsmordclub hat einen neuen Fall

  Es gibt Bücherserien, die nach dem ersten Erfolg abflauen und in Routine erstarren. Die Donnerstagsmordclub-Serie  von Richard Osman gehört erfreulicherweise nicht dazu. In ihrem dritten Fall  mischen die vier Hobby-Schnüffler aus der Seniorenresidenz einen Fall von Geldwäsche auf. Und noch nie war so viel Liebe mit im Spiel. Die angejahrten Freizeitermittler, die mittlerweile stramm auf die 80 zugehen, wollen diesmal einen Mord ohne Leiche aufklären. Denn vor Jahren verschwand eine junge Journalistin, die einem brisanten Fall von Geldwäsche auf der Spur war. Ihr Auto stürzte über eine Klippe, doch die Leiche der jungen Frau blieb verschwunden.  Die ehemalige Krankenschwester Joyce macht sich ja zunächst ein bißchen Hoffnung auf den silberlockigen Moderator der Nachrichtensendung des Lokalsenders, der mit der Vermissten befreundet war. Erotisch kann der Frauen allerdings so gar nichts abgewinnen - Pech für Jodyce. Dafür ist die energische Maskenbildnerin Pauline eine Frau nach dem He

Babysprache und Rotlichtmilieu

 Vater Zuhälter, Mutter Prostituierte - da ist es vielleicht nicht erstaunlich, dass auch Ibli, eine der Protagonistinnen in Cecilia Joyce Röskis Debütroman "Poussi" ebenfalls im Gewerbe landete und in dem Laufhaus "Palast" arbeitet, in dem bereits ihre Mutter anschaffte, ja, in dem Ibli in einem Zimmer aufwuchs. Als Ich-Erzählerin zeigt Ibli den Leser*innen durch ihre Perspektive den Blick auf Kolleginnen und Freier, die "Pois", ein Leben zwischen Langeweile, Routine und tröstungsbedeürftigen Männern (aber das kostet extra) Im Wechsel mit den Schilderungen von Ibli verfolgt die Autorin das Leben von "Lackschuh", Iblis Vater, in einer Zeit, als sie etwa 13 Jahre alt war. Da hat der spielsüchtige Mann den Zenit seines Erfolgs schon längst überschritten, ist zunehmend vereinsamt, verschuldet und im Dauerkrisenmodus, längst vieler sozialen Bindungen verlustig gegangen.  Sex Talk findet trotz des Rotlichtmilieus kaum statt, im Gegenteil: Für Ibli hat