Dekadente Zeiten im kolonialen Ostafrika - "Kenia Valley"

Karen Blixen hatte bekanntlich eine Farm in Afrika, am Fuße der Ngong-Berge. Der Vater des 15-Jährigen Theo zieht als neuer Direktor der Ostafrikanischen Eisenbahn in den 20-er Jahren aus Schottland in die britische Kolonie Kenia. Welch ein Kontrast ist das zu dem Leben, das Theo und seine jüngere Schwester Maud bisher kannten! Die Familie lässt sich nicht etwa in Nairobi nieder, wo so viele Kolonialbehörden angsiedelt werden, sonder zieht nach Naivasha im Rift Valley. Zebras und Giraffen in der Nachbarschaft sind plötzlich die neue Normalität, ebenso afrikanische Dienstboten.

Für Theo, der wegen seiner eher mädchenhaften Erscheinung in der Schule gemobbt wurde, bedeutet Kenia ein Neuanfang - auch mit Freunden, die er zunächst grenzenlos bewundert, allen voran den Aristokraten Freddie und die mondäne Amerikanerin Sylvie, beide anderweitig verheiratet, aber offensichtlich ein Paar. Der hoffnungslos in Sylvie verliebte Teenager ist verwirrt, aber überglücklich, dass diese doch deutlich älteren schönen Menschen Interesse an ihm zeigen und ihn in die Welt des "Happy Valley Sets" einführen.

Die Happy-Valley Meute der Reichen, Schönen und Dekadenten gab es tatsächlich, auch wenn Kat Gordon in ihrem Roman "Kenia Valley" einigen der Protagonisten fiktive Namen gibt. Berühmt-berüchtigt sind sie bis heute in Kenia, die Parties mit Drogen, viel Alkohol und sexuellen Bäumchen-wechsel-dich-Spielen legendär. Die konnten auch schon mal ein paar Tage dauern, denn als "Gentleman" ist so etwas wie Erwerbsarbeit natürlich nicht Freddies Ding.

Theo jedenfalls ist fasziniert, ungeachtet des schlechten Rufs des Happy Valley unter den eher traditionell-formellen Vertretern der britischen Kolonialgesellschaft.Gordon schildert die ostafrikanische Landschaft in prächtigen Farben, die Sorglosigkeit, aber auch Gleichgültigkeit und den Alltagsrassismus der  Gesellschaft, in die Theo und Maud hineinwachsen. Vor allem die nachdenklich-sensible Maud will sich damit nicht abfinden, wächst zu einer selbstbewussten jungen Frau heran, die sich - erfolglos - als Farmerin versucht, für die Rechte der Afrikaner eintritt und sich gegen Großwildjagd auf Elefanten engagiert.

Theo hingegen, der nach seinem Studium in Schottland als junger Mann nach Kenia zurückkehrt, fällt es zunächst schwer, sich der Faszination seiner Happy Valley-Freunde zu entziehen. Auch dass Freddie mit einer politischen Karriere und dem auch in Großbritannien auflebenden Faschismus liebäugelt,  lässt ihn lange Zeit nicht an dem Freund zweifeln.  Erst dramatische Ereignisse zwingen ihn, eine Entscheidung zu treffen.

Teils Sittengemälde vor dem exotischen Hintergrund Ostafrikas, teils Auseinandersetzung mit Kolonialgesellschaft, der Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung und ihres Landes, hat Kat Gordon ein gut lesbares und spannendes Buch geschrieben. Manches bleibt allerdings nur angedeutet, etwa wie die Kolonialherren nach der Devise "Teile und herrsche" mit ungleicher Behandlung und Rollenzuweisung Keile zwischen die ethnischen Gruppen trieben, die bis heute Nachwirkungen haben oder die Tatsache, dass gerade im Rift Valley und den "White Highlands" die Kikuyu-Bauern von ihrem eigenen Land vertrieben wurden, das den weißen Siedlern zugeteilt wurde. Wer sich gerne mit "Jenseits von Afrika" zwischen Dornakazien und Savanne entführen lässt, wird auch "Kenia Valley" mögen.

Kat Gordon, Kenia Valley
Hoffmann und Campe, 2019
432 Seiten, 20 Euro
ISBN  978-3-455-00277-5

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