Roadtrip mit Oma und Papagei - "Alles ist anders"

Entfremdung, Perspektivlosigkeit, schwierige Familienbande,Aufbruch, Geheimnisse, Sehnsucht, Hoffnung und irgendwie auch Liebe in unterschiedlichen Formen - all das packt Sobo Swobodnik in seinen Roman "Alles ist anders", der durch liebenswert.skurrile Charaktere, lakonischen Witz und Begegnungen unterwegs geprägt ist.

Fahrradkurier Magnus, der eher orientierungslos durch den Berliner Großstadtdschungel taumelt, sich als Gelegenheitzslover meist älterere und großbusiger Frauen auslebt. Nun aber muss er erst einmal dem Ruf einer alten Frau ins Schwäbische folgen: Seine Großmutter Therese will ihn sehen und zeigt sich trotz fortgeschrittenen Alters und Gebrechlichkeit ausgesprochen energisch: Sie habe das Grab ihres seit dem Zweiten Weltkrieg vermissten Mannes mit Hilfe des Roten Kreuzes im Baltikum ausfindig gemacht. Da müsse sie jetzt hin. Wie gut, dass Magnus das Auto seiner derzeitigen Gespielin fährt - auch wenn die von größeren Reiseplänen überhaupt nichts ahnt.

So reißt Oma Therese samt ihres Papageis aus dem Pflegeheim aus, und ein denkwürdiger Roadtrip nimmt seinen Anfang, mit Oma und Papagei, mit Artur, dem Hund von Magnus´Mitbewohner und mit Landolf, dem Großcousin, der mittlerweile Benediktinerbruder ist und eher widerwillig an der Reise mit dem jüngeren Cousin teilnimmt, den er schon als Kind nicht besonders leiden konnte.

Also gute Voraussetzungen für Spannungen und Streitigkeit, die denn auch nicht ausbleiben. Was bezweckt Therese mit der Reise in den Osten, bei dem die kleine Gruppe sich irgendwie zusammenrufen muss, der Freundlichkeit von Fremden begegnet und so manches kleine Drama überstehen muss.

Immer wieder durchbricht Swobodnik die eigentliche Handlung mit Briefen, die Opa Anton an seine junge Ehefrau Therese schrieb - ein Bauer, nicht mehr ganz gesund und mit neu geborener Tochter, der nicht zuletzt wegen einer kranken Lunge fragt, was er denn bloss als Soldat soll, wo er in der heimischen Landwirtschaft doch gebraucht werde. Erst allmählich wird klar, dass ein Witz über die Nazis wohl Folgen nach sich zog.

In Rückblicken aus der Sicht von Magnus und Landolf geht es aber auch um Kindheitserinnerungen, um eine spannungsgeladene Familiengeschichte zwischen schwäbischer Provinz und DDR, um Kalten Krieg und militanter Protestbewegung, um Weltflucht und heimliche Liebe. "Alles ist anders", das wird dann auch die Erkenntnis zur eigenen Familie sein, und so ist die Reise auf der Suche nach dem Grab von Opa Anton eine ganz besondere Entdeckungsreise.

Ein wunderbares Buch voll Humor und Melancholie, dessen Helden man trotz mancher Macken unterwegs einfach liebgewinnt.

Sobo Swobodnik, Alles ist anders
Tropen-Verlag, 2019
396 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-608-50416-3

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Slow Horses im Schneegestöber - Mick Herron glänzt erneut

Kinderwunsch - aber koscher!

Das Leben kommt immer dazwischen