Zwei Schwestern gegen das System - "Sal" beschreibt Flucht in die Wildnis

Sal und Peppa sind so etwas wie zeitgenössische Schwestern von Huckleberry Finn: Auch die beiden Mädchen aus Schottland wachsen auf der Schattenseite der Gesellschaft auf: Die alkohol- und drogenkranke Mutter liebt ihre Töchter von verschiedenen Vätern zwar, ist aber nicht in der Lage, sie wirklich zu versorgen. Dass ihr Freund die 13-jährige Sal seit Jahren missbraucht, hat sie im Alkoholnebel nicht mitbekommen. Sal ist diejenige, die Verantwortung für die kranke Mutter übernimt, den Haushalt schmeißtt, die kleine Schwester beschützt, indem sie einen Innenriegel an ihrer Tür anbringt. Doch sie weiß, es ist nur eine Frage der Zeit, dann wird der Stiefvater auch Peppa missbrauchen.

Zur Polizei will Sal nicht gehen - sie misstraut den Behörden, dem Sozialsystem, dass die Schwestern trennen und bei verschiedenen Pflegefamilien unterbringen würde. Die dunkelhäutige Peppa würde dann zu einer afrikanischen Familie kommen, fürchtet Sal, die ihre kleine Schwester über alles liebt. Da gibt es nur eins: Sie müssen fliehen.

Was für Huck Finn das Floss auf dem Missisippi ist, das ist für Sal und Peppa in Mick Kitsons Debütroman "Sal" das schottische Hochland. Die beiden sind zwar Stadtkinder, aber Sal hat die Flucht akribisch vorgeplant: Auf Youtube gibt es schließlich Informationen zu so ziemlich allem, einschließlich Überleben in der Wildnis. Die notwendige Ausrüstung ist teils geklaut, teils über Amazon bestellt, dank der geklauten Kreditkarten, die der Freund der Mutter ständig bei sich hat.

Kitson erzählt diese Geschichte von der Liebe zweier Schwestern und ihrem Kampf gegen schwierigste Umstände aus der Perspektive von Sal, einem toughen, selbstbewussten Mädchen, das sich nicht unterkriegen lässt und  alles tut, um ihre kleine Schwester zu beschützen. Für junge Leserinnen ist sie so eine starke Identifikatonsfigur, auch wenn "Sal" wohl eher etwas für etwas ältere Jugendliche ist, da es doch ein paar harte Szenen gibt.

Kitson, der erst Journalist und dann Englischlehrer war, ehe er seinen ersten Roman schrieb, hat mit Sal und Peppa zwei schnoddrig-sympatische Romanheldinnen geschaffen, die ähnlich wie ihr literarischer Bruder Huck Finn außerhalb des Systems stehen, auf ihrer Autonomie beharren und auf ihrer Reise in die Wildnis auf eine unerwartete Verbündete stoßen. "Sal" ist sowohl coming of age-Story als auch liebevoll gezeichnetes Außenseiter-Porträt. Mit diesem Debüt macht Kitson neugierig auf mehr.

Mick Kitson, Sal
Kiepenheuer & Witsch, 2019
ca 350 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-462-05140-7

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