Die Kinder des Borgo Vecchio - brutal, verstörend und mit einem Hauch von Hoffnung

Was für eine Kindheit, was für ein Buch! Mit "Die Kinder des Borgo Vecchio" zeichnet Giossué Calaciura auf gerade knapp 160 Seiten ein verstörend brutales und grausames Bild einer Kindheit in den Gassen der Altstadt von Palermo. In den engen Straßen herrscht das Recht des Stärkeren, es wird getrickst, geraubt, gestohlen, jeder kennt die Geheimnisse so ziemlich jedes anderen. Gewalt wird geradezu gleichgültig akzeptiert und nur wenn es gegen den gemeinsamen Feind, die Polizei, geht, scheint das Viertel zusammen zu rücken.

In so einer Umgebung aufzuwachsen, das ist hart, und niemand würde sich wundern, wenn die drei Kinder Mimmo, Celeste und Cristofaro schon früh Härte und Gefühlskälte zeigen würden. Doch die drei, allen voran Mimmo, aus dessen Augen das Viertel beschrieben wird, haben sich noch Unschuld  bewahrt, lassen sich von der Magie des Meeres im Licht der Sterne verzaubern, glauben daran, dass das Pferd Nana zu ihnen spricht.

Das große Rollenvorbild, die heimliche Vaterfigur der drei ist Toto, der Räuber: Für Celeste, die Tochter der Prostituierten des Viertels, allemal, denn trotz ernsthaften Nachdenkerns muss ihre Mutter bedauernd feststellen, dass sie einfach nicht sagen kann, wer als Erzeuger in Frage kommt. Dabei ist Carmela, die ihre Tochter auf den Balkon schickt, wenn sie ihrer Arbeit nachgeht, vielleicht der liebevollste Elternteil, der in diesem Buch beschrieben wird.

Mimmos Vater, ein Metzger, betrügt seine Kunden, betrügt bei Pferderennen, ignoriert seinen Sohn weitgehend. Doch das ist immer noch besser als Cristofaros Vater, der seinen Sohn total verprügelt, wenn er betrunken ist. Jeder weiß es, jeder hört weg, jeder weiß: Irgendwann wird der Alte den hilflosen Jungen totschlagen. Nur Mimmo fleht Toto an, Cristofaros Vater eine Lektion zu erteilen und der Quälerei ein Ende zu machen.

Atmosphärisch dicht, geprägt von Aberglauben, Volksfrömmigkeit und Madonnenkult, ist die feste Freundschaft der drei Kinder das hoffnungsvolle Zeichen dieses Buches. Und doch ahnt der Leser: diese Kindheit wird nur allzu früh enden, zerschellen an den Härten der Realitäten des Borgo Vecchio.

Harte Kost, die durch geradezu poetische Beschreibungen gemildert wird. Aber ausgesprochen lesenswert.

Giossué Calaciura, Die Kinder des Borgo Vecchio
Aufbau-Verlag, 2019
153 Seiten, 18 Euro

ISBN 3351037902

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