Biografie meets Fiktion - "Meine Zeit mit Eleanor"

Haben sie, oder haben sie nicht? Dass US-Präsident Franklin D. Roosevelt es mit der ehelichen Treue nicht sonderlich genau nahm (wie so mancher seiner Nachfolger im Weißen Haus) ist historisch nicht wirklich neu. Dass seine Frau Eleanor eine wichtige Beraterin und Mitgestalterin seiner Politik war wie nach ihr vielleicht nur Hillary Clinton, ist ebenfalls bekannt. Vieles aus der Sozialpolitik des "New Deal" ist von ihr zumindest beeinflusst. Aber dass sich Eleanor viele Jahre lang mit einer Frau über die Affären ihres Gatten hinwegtröstete, das ist die Frage, die in "Meine Zeit mit Eleanor" von Amy Bloom ganz im Vordergrund steht.

Denn wie eng das Verhältnis zwischen Eleanor Roosevelt und der Journalistin Lorena Hickock nun wirklich war, das ist bislang nicht bekannt. Fest steht: Hickock war "out und proud", lange bevor sie den Weg der First Lady kreuzte. Zeitweilig wohnte die Frau in ihren Reportagen das Elend der von der Wirtschaftskrise beschrieb und für die Arbeit im Umkreis von Eleanor Roosevelt ihre Arbeit bei der renommierten Nachrichtenagentur AP aufgab. Die verbliebenen Briefe, die die beiden Frauen einander im Laufe der Jahre schrieben, haben zärtliche Untertöne. Eine zeitweise enge Freundschaft scheint da gewiss, ob es auch eine intime war - in Blooms fiktiver Biografie jedenfalls ist Eleanor Roosevelt "Hicks" große Liebe.

Von der Herkunft her könnten sie nicht unterschiedlich - hier Eleanor, aus wohlhabender Familie mit besten Verbindungen, Internatsausbildung in Europa, standesgemäße Heirat, dort Hicks, die das Elend, über das sie schrieb am eigenen Leib erfahren hat, ebenso wie Vernachlässigung und Missbrauch. Die Frau, die trinken und fluchen konnte wie ein Mann, weiß schon als 13-Jährige, dass sie mit Jungs oder Männern nichts anfangen kann.

Mit ihrer Geschichte ist Hicks eine spannende Figur, ganz egal ob sie nun eine intime Beziehung mit Eleanor Roosevelt hatte oder nicht - sowohl als Frau in einem damals noch stark von Männern dominierten Beruf als auch als offen lesbisch lebende Frau in einer Zeit, als Diversity und LGBT-friendly noch Fremdwporte waren Obendrein wären Innenperspektiven aus dem Weißen Haus in der Zeit von New Deal und Zweitem Weltkrieg richtig spannend gewesen.

Leider verzichtet Bloom aber weitgehend auf diese Aspekte. Die große Politik ist eher eine Randerscheinung, die Befindlichkeit der beiden Frauen zwischen Liebe und Eifersucht, Entfremdung und Nähe steht im Vordergrund. Von unfreiwilliger Komik ist das Doppelspiel angesichts des Bäumchens wechsel dich im Weißen Haus - da können sich auch schon mal die Wege von Hicks und des Präsidenten auf dem Rückweg aus jeweils fremden Schlafzimmern kreuzen und bei einem Whisky die Dreiecks- oder Vierecksbeziehung erörtert werden.

Angesichts der wirklich faszinierenden Biografien der beiden Frauen bleiben sowohl Hicks als auch Eleanor Roosevelt streckenweise merkwürdig blass, das Persönliche überdeckt das Politische. Das Buch macht neugierig auf die historische Lorena Hickock. Persönlich hätte ich mir diese Geschichte aber mit mehr Ecken und Kanten gewünscht.

Amy Bloom, Meine Zeit mit Eleanor
Hoffmann und Campe, 2019
272 Seiten, 20 Euro
ISBN  978-3-455-00568-4


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