Mehr als nur "der Attentäter" - Annäherung einer Enkelin an den 20. Juli

Er ist eíne historische Ikone geworden, auch wenn sein Ziel scheiterte. Hätte Claus Graf von Stauffenberg Erfolg gehabt, wäre das Attentat auf Hitler gelungen - der Zweite Weltkrieg hätte schneller geendent, Millionen von Menschen hätten ihn überleben können, die in den Monaten zwischen Juli 1944 und Mai 1945in Konzentrationslagern ermordet wurden, auf beiden Seiten der jeweiligen Front starben, bei Luftangriffen als Zivilisten ums Leben kamen. Stauffenberg und die übrigen Mitglieder des Widerstadskreis zahlten einen hohen Presi: Verhaftung, Folter, ein sogenannter Prozess vor dem Volkgerichtshof, vor dem die Todesstrafe schon feststand. Selbst nach den Hinrichtungen kannte der Rachedurst des NS-Regimes kein Ende: Die Hingerichteten sollten keine Gräber bekommen, sondern buchstäblich zum Staub der Geschichte werden, die Familien wurden in Sippenhaft genommen, die Kinder wurden von ihren Müttern getrennt, bekamen neue Namen.

Für Sophie von Bechtolsheim ist Stauffenberg vor allem "Opi" - der Großvater, den sie selbst erlebte, den sie nur aus den Geschichten ihres Vaters, ihrer Onkel, ihrer Großmutter kannte. In ihrem Buch "Mein Großvater war kein Attentäter" nähert sie sich der historischen Figur an und versucht, das Attentat vom 20 Juli in den Zusammenhang von Widerstand, Opposition und Plänen für ein neues, anderes Detuschland zu setzen. Gleichzeitig ermöglicht sie den Lesern eine Annäherung an den Menschen Staufenberg - den Ehemann, Vater, Onkel, an die unterbrochenen Lebens- und Familiengeschichten, von denen die Stauffenbergs nur die bekannteste ist.

Das Buch ist zugleich eine Liebeserklärung der studierten Historikerin an ihre Großmutter, die sich nicht als "Berufswitwe" sehen wollte, das historische Erbe Staufenbergs zwar sehr wohl als Vermächtnis begriff, aber gleichzeitig unsentimental mit der Vergangenheit umging. Pathos, das lässt sich erahnen, war der alten Dame ein Gräuel. Die Gefahr, die die Arbeit im Widerstand bedeutete, war ihr wohl bewusst - und dennoch spielte sie das als "Verschwörerles" herunter.

Es ist diese persönliche Annäherung, der Rückgriff auf Familiengespräche und Erzählungen, die den Reiz dieses Buches ausmachen. Denn auch wenn die Autorin "vom Fach" ist - wirklich neue historische Erkenntnisse lassen sich aus dem eher schmalen Buch mit 144 Seiten Länge nicht gewinnen, vieles ist durch andere, umfangreichere Veröffentlichungen bekannt. Dass auch die Auseinandersetzung mit jüngeren Berichten zu Stauffenbergs anfänglicher Nähe zum System eher beschwichtigend ausfällt, zu den Briefen aus dem besetzten Polen, in denen Polen und Juden in Ausdrücken beschrieben werden, die an dem hehren Bild des Widerständlers kratzen, verwundert weniger.  Da schreibt halt nicht die Wissenschaftlerin, sondern die Enkelin.

Zugleich versucht Bechtolsheim - der Buchtitel deutet das schon an - die Rolle und das Leben Stauffenbergs und seiner Mitverschwörer nicht auschlißlich im Zusammenhang des 20. Juli zu betrachten, sondern in der Haltung, die überhaupt erst zu dem Attentat führte: "Hier leuchtet die geistige Freiheit des Menschen auf, seine Fähigkeit, Recht von Unrecht zu unterscheiden und in aller Konsequenz dem eigenen Gewissen zu folgen. Das Attentat vom 20. Juli 1944 wäre ohne diese moralische Dimension nichts anderes als ein mutiger Gewaltakt, Dies allein verdiente keine besondere Würdigung. Nicht der Todesmut, sondern der Gwissensmut ist vorbildlich."

Sophie von Bechtolsheim, Stauffnberg. Mein Großvater war kein Attentäter
Herder Verlag, 2019
144 Seiten, 16 Euro
ISBN: 978-3-451-07217-8



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