Niemandskinder - Rassismuserfahrungen einst und jetzt

Ein Mann auf der Suche nach einer Frau, aber auch auf den Spuren der eigenen Vergangenheit - das ist die Ausgangssituation in Christoph W. Bauers Roman "Niemandskinder". Der Ich-Erzähler kehrt zurück nach Paris, die Stadt, in der er sich einst neu erfinden wollte. Der Österreicher - als Sohn aus Deutschland zugereister Eltern eigentlich ein "Piefke-Kind" träumte einst davon, Dichter zu werden. In Paris folgte er als junger Mann den Spuren der großen Romanciers und Lyriker, fand aber auch Samira, die junge Frau aus der Vorstadt, die als Tochter marokkanischer Eltern erst noch ihren Platz in der französischen Gesellschaft erobern musste. Die junge Frau, die als Migrantenkind mit Härten zu kämpfen hatte, hatte einst die lyrischen Ambitionen ihres Geliebten eher belächelt, die nicht dem Realitätscheck ihres eigenen Lebens standhielten. Die Beziehung zerbrach, der Poet ging zurück nach Österreich und wurde Historiker.

Nun ist er zurück, in wissenschaftlicher Sache, aber auch auf der Suche nach dem Schicksal einer Frau aus seinem Heimatort, deren Bild ihn an Samira erinnert. Sie war ein "Besatzungskind", ihr marokkanischer Vater Soldat der französischen Armee. Als Historiker schreibt er an einem Aufsatz über die marokkanischen Soldaten in Österreich in unmittelbarer Nachkriegszeit. Das menschliche Schicksal der Kinder aus den Beziehungen dieser Soldaten mit österreichischen Frauen wird ihm von einer anderen Betroffenen nahe gebracht: Die Ausgrenzung der anders aussehenden in einer dörflichen Gemeinschaft, der Rassismus aus dem gerade erst untergegangenen und nicht aufgearbeiteten Nationalsozialismus, die Ablehnung in den Familien, in denen die unerwünschten Kinder als Symbol der Schande galten.

Doch Rassismus, das wird dem Erzähler gerade kurz nach den Terroranschlägen in Paris klar, ist eben keine Sache der Vergangenheit. Als er zunächst eher angelegentlich versucht, über das heutige Leben Samiras nachzuforschen, fällt ihm im Gespräch mit einstigen Bekannten manches auf, das er seinerzeit übersehen hat. Sind nicht auch die Migranten aus dem Maghreb"Niemandskinder", die Unerwünschten, die in Vorstädten abgeschoben und abgeschottet leben, die aber keinen Platz in der "Stadt der Lichter" zugebilligt bekommen? Verstärkt die Erfahrung des Terrors nicht nur Paranoia, sondern auch Rassismus?

Ein irgendwie poetischer Roman, der Parallelen zwischen dem Österreich der Nachkriegszeit und dem Paris der Gegenwart zieht, von Fremdheit, Heimatsuche und Zerrissenheit erzählt. Es ist auch eine Einsicht in das Scheitern der eigenen Liebe: "Wir bemerkten es nicht, die Gegenwart war unsere Bühne, und erst als wir den Blick in die Zukunft richteten, kam uns die Vergangenheit in die Quere."

Christoph W. Bauer, Niemandskinder
Haymon-Verlag, 2019
183 Seiten
978-3-7099-7255-7

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