Was Trump, Brexit und Islamismus mit "Identität" zu tun haben

Einst beschrieb Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte". Das war vor 30 Jahren, und der amerikanische Politikwissenschaftler würde heute sicherlich einräumen, dass es seitdem auch geschichtlich weiter ging. Doch wohin? Viele der Hoffnungen auf den "wind of change" des Jahres 1989 sind ausgeblieben. Manches Land, dass 1989 zum Wegbereiter der unblutigen Revolution wurde, allen voran Polen und Ungarn, liebäugelt heute mit Nationalismus und Populismus. Das Russland Putins ist Lichtjahre von der Aufbruchsstimmung von Glasnost und Perestroika entfernt.

Auch der Blick in den Westen kann derzeit nicht hoffnungsvoll stimmen: Ebenfalls Populismus, Fremdenhass, Abschottungsbestrebungen, von Trump, Brexit und neuerdings Boris Johnson mal ganz zu schweigen. Wie konnte es zu all dem kommen? In seinem Buch "Identität" untersucht Fukuyama Identitätsbegriffe und die Vorstellungen von individueller Würde. Dabei unternimmt der Pokitikwissenschaftler auch einen Ausflug in das Reich der Philosophie und der Wirtschaftsgeschichte, behandelt die Frage, wie seit dem antiken Griechenland über Reformation und Neuzeit sowie seit der Französichen Revolution mit dem Begriff und der Anerkennung von Würde umgegangen wurde.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" - Artikel eins des deutschen Grundgesetzes macht diese Würde des Einzelnen zur Richtschnur allen staatlichen Handelns. Und auch andere Länder - Israel, Südafrika, Südkorea - schreiben den Begriff der Würde in ihrer Verfassung fest, wie Fukuyama erinnert. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es sich hier gleich mehrfach um Länder handelt, die entweder in ihrer eigenen Geschichte auf Kapitel schlimmster Verletzungen von Menschenwürde zurückblicken oder im Fall von Israel von den Überlebenden eines Genozids gegründet wurden.

Waren es ganz früher nur die Krieger, die ihr Leben für die Gemeinschaft riskierten, die den Begriff einer speziellen Würde im Sinne von Anerkennung zugestanden bekamen, gilt diese Würde nun - zumindest dem Gesetz nach - für alle. Und Identität? Hier sieht Fukoyama ein Problem, denn es gibt zwei Trends - einmal eine "Kollektivierung" des Identitätsbegriffs, in dem sich eine Gruppe unter einem gemeinsamen Obergbegriff zusammen findet. Das gelte für den politischen Islamismus ähnlich wie etwa wie für die Brexit-Befürworter in Großbritannien, die sich ja ebenfalls als Abgrenzung vor den "Anderen" verstanden. "Nationalismus und Islamismus können mithin als Spielarten der Identitätspolitik angesehen werden", warnt Fukoyama.

Doch zugleich zerfasert der Identitätsbegriff in immer mehr Doppel- und Bindestrichidentitäten - und jede Gruppe pocht auf ihre Anerkennung und Würde. Fukuyama nennt als Beispiel jene Spanier, die sich plötzlich nur noch als Katalanen begreifen, aber auch die immer neue Aufsplitterung etwa sexueller Minderheiten (Was früher LGBT hieß, heißt heute mindestens LGBTQI) Da treten dann Minderheiten in Konkurrenz zueinander (fällt mir in Deutschland auch immer dann auf, wenn Menschen, die meinem eigenen Hautton entsprechen, sich als "people of color"  bezeichnen. Meine afrikanischen Freunde wären höchst verwundert über diese Definition)

In so einer Zersplitterung sieht Fukuyama allerdings nicht nur den an sich positiven Einfluss von Individualismus, sondern auch die Gefahr der Zersplitterung. Je mehr Gruppen sich nur noch als ethnische, religiöse, sexuelle Minderheit mit ihren jeweiligen Befindlichkeiten, Forderungen  und Erwartungen wahrnehmen, desto geringer die Chance, über diese Abgrenzungen hinaus zu blicken. Und davon profitieren dann letztlich die Anhänger einer kollektiven Identität. Das Ergebnis ist derzeit im Weißen Haus zu sehen.

Mit "Identität" bietet Francis Fukuyama viel Stoff zum Nachdenken - über Identität, Ausgrenzung, politische Korrektheit  und Manipulation im Umgang von Mehrheiten und Minderheiten, aber auch Herausforderungen durch mangelnde Anerkennung und Marginalisierung.

Francis Fukoyama, Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Deokratie gefährdet.
Hoffmann und Campe, 2019
237 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-455-00528-8

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