Brandgefährlich ? - vom Umgang mit der AfD

 Der Warnruf kommt zu einer Zeit, als Zehntausende überall in Deutschland gegen die AfD und Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Das hatte Hendrik Cremer beim Schreiben an seinem Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen" über die AfD als rechtsextremistische, nationalistische und antisemitische Partei wohl nicht ahnen können. Das Buch passt aber insofern gut in die Zeit. Der Autor arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte und untermauert seine Thesen mit zahlreichen Fußnoten - tatsächlich ist der Anhang zu den Nachweisen fast so umfangreich wie der eigentliche Text.

Cremer argumentiert meinungsstark und erweckt mitunter den Eindruck, Alleinanspruch auf die Wahrheit und das Wissen über den richtigen Umgang mit der AfD zu haben, wenn er etwa auf die Medienberichterstattung oder die Präsenz von AfD-Vertretern in Interviews und Parteirunden eingeht. Aber dazu später mehr.

Eher knapp geht der Autor auf die Entstehungsgeschichte der AfD ein, die ja zunächst einen klar bürgerlich-wirtschaftsliberalen Kurs hatte, ehe es buchstäblich zur Flügelbildung kam und ausgesprochen rechte bis rechtsextreme Positionen von führenden Parteivertretern wie Gauland und Höcke entwickelt wurden, samt Verharmlosung des Holocaust und der deutschen NS-Vergangenheit ("Vogelschiss"). Er zeichnet die zunehmende Bedeutung gerade von Höcke heraus und wie es der AfD im Laufe der Jahre immer wieder gelang, Grenzen des "Unsagbaren" aufzuweichen und sich gleichzeitig als Opfer zu gebärden.

Ein wenig fehlt mir der Blick auf das gesamtgesellschaftliche Klima, die verschiedenen Allianzen während der Corona-Pandemie. Wenn Cremer über den nationalistischen Kurs der AfD schreibt samt deren "Remigration"-Vorstellungen, bleibt gleichzeitig unerwähnt, dass die Partei etwa bei Russlanddeutschen eine erhebliche Anhängerschaft hat. 

Problematisch finde ich den moralischen Impetus der Empörung, wenn eine Art Medienschelte betrieben wird. Da werden einerseits durchaus peinliche Beispiele genannt, in denen Journalisten in Interviews Stichwortgeber für AfD-Politiker waren. Dabei handelt es sich aber nicht um eine grundsätzliche Eigenschaft der Berichterstattung, die in der Regel durchaus sachlich-distanziert erfolgt. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich "vom Fach" bin, aber ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn von außen erklärt wird, über ein bestimmtes Thema dürfe nicht geschrieben werden. Das klingt nicht nur nach Zensur, sondern entspricht nicht wirklich dem gesellschaftlichen Auftrag der Medien, über "das, was ist" zu berichten.

Ist die AfD gefährlich? Da stimme ich dem Autor zu. Sollte man gegen sie auf die Straße gehen? Aber klar. Ist ein Verbot der Partei begründet? Das zu untersuchen, ist Aufgabe der Verfassungsschützer. Das Prinzip der Meinungsfreiheit gilt meiner Überzeugung nach aber auch für diejenigen, deren Posititonen ich total ablehne. Demokratischer Diskurs bedeutet nicht Kuschelklima. Und auch, wenn die anderen als Bedrohung der Demokratie angesehen werden - die  Spielregeln einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung müssen auch auf sie angewendet werden. Was die von Cremer geforderte Aufklärung  über die Partei nicht ausschließt.

Hendrik Cremer, Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist. Warum wir uns jetzt wehren müssen

Berlin-Verlag 2024

220 Seiten, 21,99 Euro

9783827080905


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