Sowjetisch, postsowjetisch - Mütter, Töchter und Fremdheit

 Anpassung und wütendes Beharren auf Individualität, Mutter-Tochter-Beziehungen in all ihrer Komplexität, Heimatverlust und Erfahrung von Fremdheit - in ihrem Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" stellt Sasha Marianna Salzmann zwei Generationen mit ihren Erfahrungen gegenüber. Lena und Tatjana sind in der Sowjetunion der Breschnew-Jahre aufgewachsen, zwischen Mangelwirtschaft, Bürokratenherrschaft und Pionier-Ferienlager. Ihre Töchter Edi und Nina sind in Deutschland aufgewachsen, das alte Sowjetleben sagt ihnen nur wenig, die Beziehung zur eigenen community teils liebevoll, teils distanziert, teils eine Chance, wenn die vermeintliche Vertrautheit mit russisch-ukrainischen Problemen in einen Reportageauftrag münden soll.

Für die Müttergeneration dagegen hat die Auswanderung nach Deutschland Hoffnungen nicht erfüllt. Lena war in Russland Ärztin - ihre Ausbildung wird in Deutschland nicht anerkannt, sie kann lediglich als Krankenschwester arbeiten. Der Plattenbau, in dem sie nun lebt, erscheint da wie ein Symbol für die geplatzten Träume, aber irgendweie auch für das Erbe der Sowjetunion

Auch Salzmann, als Kind aus Wolgograd mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen, dürfte vieles an der sowjetischen Vergangenheit längst nicht so vertraut sein wie der Elterngeneration - vielleicht liegt es daran, dass das Leben von Edi und Nina aus der Ich-Perspektive erzählt wird, während die Leser dem Leben von Lena und Tatjana wesentlich distanzierter in der dritten Person folgen.

Die Männer der Familien bleiben dabei eher unscharfe Randfiguren. Bei allen Reibungen und mancher Ablehnung sind es die Beziehungen von Müttern und Töchtern, von Nachbarinnen und Freundinnen, die hier Tiefe haben, Witz und pralles Leben,. Zugleich ist immer wieder Sprach- und Ratlosigkeit zwischen den Generationen spürbar. Sowjetische und postsowjetische Lebensrealität, migrantische Erfahrungen, Stereotypisierung und Selbstdefinition sind Themen dieses mitunter episodenhaftens, aber stets lesenswerten Romans.


Sasha Marianna Salzmann, Im Menschen muss alles herrlich sein

Suhrkamp Verlag, 2021

384 Seiten, 24 Euro

978-3-518-43010-1

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