Eine Affäre mit Familienanschluss

 Edie stolpert nach abgebrochenem Kunststudium eher orientierungs- und antriebslos durchs Leben. In ihrem Assistenzjob in einem Verlag fühlt sie sich als Alibi-Schwarze, entwickelt aber auch keinen Ehrgeiz, Stereotype zu widerlegen - im Gegenteil - dass sie während der Arbeitszeit ihre Energie auf Sex-Chats konzentriert, ist wenig karrierefördernd. Die bedeutungslosen Affären am Arbeitsplatz dürften auch ein Ausdruck ihres schwach ausgeprägten Selbstbewusstseins sein. Die Ich-Etzählerin in Raven Leilanis Roman "Hitze" ist eine junge Frau, die man einfach mal durchschütteln möchte mit dem Ruf: "Hör auf, dem Leben und allen anderen die Schuld an deinen Problemen zu geben!"

Denn Edie ist weder dumm noch unfähig, scheint aber jeglichen Ehrgeiz aufgegeben oder nie entwickelt zu haben - und die Beziehungen, in denen sie nur Objekt ist, sind da fast schon eine self fulfilling prophecy. Mit Eric, so hofft sie, könnte es anders sein. Er ist weiß, verheiratet, doppelt so alt wie sie und führt nach eigenen Angaben eine offene Ehe. Und wenn es um Intimität geht, scheint sie ihn mehr zu wollen als umgekehrt, jedenfalls lernt Edie Eric wesentlich besser kennen als ihre üblichen one night stands, ehe sie das erste Mal Sex haben.

Edie entwickelt eine gewisse Besessenheit, mehr über Eric und sein Leben herauszufinden - was schließlich zu einer Begegnung mit Rebecca, der Ehefrau Erics führt. Als Edie dann auch noch Job und Wohnung verliert, nehmen die Dinge eine unerwartete Wendung - sie kommt im Gästezimmer der Familie unter. 

Eine Affäre mit Familienanschluss? Eine Bezugsperson für Akila, die schwarze Adoptivtochter des Paares, die nach verschiedenen Pflegefamilien ambivalent auf Edie reagiert - auf der einen Seite ist hier eine Frau, die ihr etwa im Umgang mit ihrem Haar, an dem Rebecca völlig scheitert, helfen kann. Auf der anderen Seite ist Edie durch die Beziehung zu Eric eine Bedrohung der relativen Stabilität, die Akila gefunden hat. Und dann ist da noch die Herausforderung, als Schwarze Frau in weißer Vorort-Umgebung zu leben, Alltagsrassismus zu begegnen und Erfahrngen zu teilen, die Eric und Rebecca einfach nie gemacht haben.

Mit Edies Leben im Gästezimmer nimmt das Buch eine neue, interessantere Wendung - denn das Verhältnis sowohl zu Rebecca als auch zu Akila ist wesentlich komplexer und für mich spannender als die Beziehung zu Eric, der sich nicht zuletzt aufgrund seines Alkoholkonsums als Enttäuschung für die Frauen in seinem Leben erweist. Die unsentimentale Selbstanalyse, die genaue Studie des Lebens in Suburbia und die unerwarteten Ausbrüche daraus sind die Höhepunkte dieses Romans, der für Edie auch ein Stück Selbstfindung ist.

Raven Leilani, Hitze

Hoffmann & Campe 2021

256 Seiten, 22 Euro

  9783455012330

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