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Toter im See führt zu Cold Case mit Sprengkraft - Kriminalroman aus der Nachwendezeit

 Mit "Das Schweigen des Wassers" weckt Susanne Tägder Erinnerungen, jedenfalls bei meiner Generation. Leser*innen der der Millenials und noch jüngeren Generationen empfinden die Atmosphäre in einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern kurz nach der Wiedervereinigung vermutlich als Fenster in eine ihnen sehr ferne Welt. Doch damals war die Grenze in den Köpfen noch sehr frisch, die anfängliche Euphorie begann angesichts der Abwicklung tausender Arbeitsplätze einer großen Ernüchterung zu weichen und bei Ost-West-Begegnungen lauerte immer die Frage im Hinterkopf, wie sich Menschen früher verhalten hatten und ob sie womöglich in das DDR-System verstrickt gewesen waren. Das dürfte vor allem bei der Polizei als Organ der Sicherheitsdienste so gewesen sein. Auch Hauptkommissar Groth aus Hamburg, als "Aufbauhelfer Ost" an den Ort seiner Jugend zurückgekehrt, fremdelt noch mit den neuen Kollegen - und die mit ihm. Ohnehin ist der nachdenkliche Polizist, der eigentlich gerne

Nachdenkliche Betrachtung des Nahostkonflikts

 Mit "Niemals Frieden?" hat Moshe Zimmermann eine nachdenkliche, reflektierte und überaus lesenswerte Betrachtung des Nahostkonflikts  geschrieben. Das tut gut angesichts der Polemik beider Seiten, die seit dem 7. Oktober nicht weniger geworden ist. Und umso schwerer ist es für diejenigen, die trotzdem nicht hassen wollen, sondern nach einem Ausweg aus einem scheinbar aussichtslosem Dilemma suchen. Zimmermann wurde in Jerusalem geboren, als der Staat Israel noch gar nicht existierte, er beschreibt seine familiären Wurzeln als religiös-zionistisch und er hat, wie er im Vorwort verrät, sein Buch auf Deutsch geschrieben (seine Familie stammte ursprünglich aus Hamburg), vielleicht vor allem mit Blick auf eine deutsche Leserschaft, gerade in den Abschnitten über das deutsch-israelische Verhältnis und die deutsche Haltung im Nahostkonflikt. Er ist Sozialhistoriker, vielleicht hilft dieser akademische Hintergrund, sich nicht von tagesaktuellen Aufgeregtheiten zu einer vorschnellen R

Disfunktionale Familiengeschichte

 Von Tolstoj wissen wir, dass sich alle glücklichen Familien irgendwie ähneln, während unglückliche Familien stets ihr ganz eigenes Unglück mit sich herumschleppen. In Dana von Suffrins Roman "noch mal von vorne" ist die Familie entschieden unglücklich, nicht nur, weil gleich am Anfang ein Todesfall steht. Der krebskranke Vater stirbt, und Protagonistin Rosa erhält die Todesnachricht an ihrem Arbeitsplatz. Der Tod eines Elternteils - erst recht, wenn es sich um den letzten Elternteil handelt - ist immer ein einschneidendes Verhältnis, egal wie kompliziert vielleicht zu Lebzeiten das Verhältnis war. Rosa weiß, plötzlich ist die ältere Generation weg. Es bleiben sie und ihre Schwester Nadja, aber das ist auch so eine schwierige Angelegenheit, die beiden haben schon länger nicht mehr miteinander zu tun gehabt, ja, Nadja hat sich eigentlich bereits mit 18 mehr oder weniger aus der Familie verabschiedet. Das Ausräumen der Wohnung, in der sie als Kind aufgewachsen ist, bringt auch

Armut im reichen Amerika

 In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben und trotz aller Mühen nur selten den Weg aus der Armut heraus finden. Desmond  ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und trotz des wissenschaftlich-analytischen Ansatzes ist die Wut über Missstände gerade dann beim Lesen spürbar, wenn er von individuellen Schicksalen berichtet. Armut in einer reichen Gesellschaft ist natürlich kein Sonderstellungsmerkmal der USA, auch in Deutschland ist der Reichtum höchst ungleich verteilt und die soziale Schere klafft zunehmend auseinander. Aber, und das ist der große Unterschied zwischen den USA und Europa, die Idee des Wohlfahrtsstaates hat in Amerika nie richtig Fuß gefasst. Dass eine Krankenversicherung oder eine Sozial- und Rentenversicherung in einer der reichsten Industrienationen der Welt nicht selbstverständlich sind

Zerbrechlicher Beziehungsreigen

 Der Waterford-Schwan, den die Pianistin Celine in Naoise Dolans Roman "Das glückliche Paar" an ihrem Hochzeitstag beim Klavierspiel zerbricht, ist schon ziemlich symbolisch. Denn Schwäne haben üblicherweise zu ihrem Partner eine lebenslange Bindung. Celines Verlobter Luke hingegen war schon auf der eigenen Verlobungsfeier plötzlich verschwunden. Trotzdem halten die beiden ein Jahr an ihren Hochzeitsplänen fest. Freunde und Ex-Partner*innen, was mitunter auf dasselbe hinauskommt, sind wie ein Chor in der griechischen Tragödie mit ihren Kommentaren, ob und warum nicht Celine und Luke heiraten sollten. Reicht Liebe für ein ganzes Leben? Vor allem, wenn der eine eigentlich kein Mensch für Beziehungen ist und die andere alles ihrem Klavierspiel unterordnet? Dass nicht nur Braut und Bräutigam, sondern auch die Mehrheit des Freundeskreises queer sind und die mögliche Partnerwahl sich dabei noch mal multipliziert, macht es nicht einfacher. Es ist ein zerbrechlicher und gleichzeitig

Ein Fall, bei dem jeder verliert

 Newark könnte man wohl als die Stiefschwester New Yorks bezeichnen - die meisten Besucher kennen nur den Flughafen und fahren von dort direkt nach Manhattan. Newark ist glanzloser, unspektakulärer und in Valerie Wilson Wesleys  Roman "Todesblues" düster und mit einem Erbe der Gewalt, das vor allem für die afroamerikanische Bevölkerung seit der Zeit der Rassenunruhen in unguter Erinnerung ist. Bei dem Buch handelt es sich um eine Wiederauflage, ursprünglich hat Wesley ihren Roman wohl in den 90-ern geschrieben. Doch beim Lesen wird klar: Die Themen von Black Lives Matter, die Herausforderungen und Risiken für junge Schwarze Männer waren auch damals schon aktuell, Tamara Hayle, Ex-Polizistin, Privatdetektivin und alleinerziehende Mutter eines Teenager-Sohnes, nimmt ihren neuen Fall nur zögernd an. Eine ältere Frau will wissen, wer ihren Sohn ermordet hat. Für die Polizei hat der Fall keine hohe Priorität gehabt, vermutet sie. Denn Shawn war ein Drogendealer und Waffenschieber,

Armut prägt - Familiengeschichte eines Aufstiegskampfes

 Mit "Martha und die Ihren" hat der Schweizer Autor Lukas Hartmann sowohl eine autofiktionale Familiengeschichte geschrieben als auch ein Zeit- und Gesellschaftsbild vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 1960-er Jahre gezeichnet. Inspiriert durch die Geschichte seiner Großmutter Martha schildert er den Lebensweg einer Frau, die als Achtjährige das Auseinanderbrechen ihrer Familie und das fremdbestimmte Leben als Verdingkind erlebte und sich mit Härte und Ehrgeiz aus extremer Armut in bescheidenen Wohlstand durchkämpfte. Der Tod des Vaters lässt Marthas Familie völlig mittellos zurück. Ein soziales Netz in unserem heutigen Sinne gibt es nicht. Da die Mutter außerstande ist, ihre sechs Kinder zu ernähren, verteilt die Gemeinde sie getrennt an Pflegefamilien, in denen sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Martha befindet sich in ihrer neuen "Familie" buchstäblich am Ende der sozialen Leiter, ist diejenige, die als Letzte etwas zu essen bekommt - und  dann meis