Die neue Völkerwanderung - Appell für einen "Masterplan für Afrika"

#Migration #Afrika #Sachbuch #Politik #Zeitgeschehen

Seit mehr als 40 Jahren lebt Asfa-Wossen Asserate in Deutschland. Der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers befasst sich nicht nur als Unternehmensberater mit Afrika. Sein Buch über Migration aus Afrika spart nicht mit Kritik - auch an die Adresse Europas

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Asfa-Wossen Asserate hat einen Alptraum: «Dass man eines Morgens aufwacht und es heißt, dass zwei Millionen
Afrikaner auf dem Wege nach Europa sind.» Davor will der gebürtige Äthiopier mit deutschem Pass und Wohnort Frankfurt nicht nur die Europäer bewahren, sondern auch die Afrikaner.

«Die erste Frage muss lauten, wie kriegen wir es hin, dass junge Männer nach abgeschlossenem Studium nicht frustriert durch Rabat oder Addis-Abeba laufen, dass sie in ihrem Land bleiben?», sagt der Autor und Unternehmensberater, der ein Buch über die Migration aus Afrika und ihre Ursachen geschrieben hat. 





In "die neue Völkerwanderung" geht es um das Erbe des Kolonialismus, um die Hoffnungen, mit denen sich afrikanische  Migranten auf den Weg nach Europa machen und um die Bedingungen, die sie überhaupt so weit  in die Ferne treiben - die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern, Korruption, Vetternwirtschaft und schlechte Regierungsführung, die gerade diejenigen außer Landes treiben, die in ihrer Heimat benötigt würden. Denn die ganz Armen, die in den Augen vieler Europäer die geährliche lange Reise durch die Wüste oder über das Meer antreten, könnten sich das Unternehmen Ausreise gar nicht leisten.

«Seit 30 Jahren heißt es, wir müssen uns die Ursachen der Migration vornehmen, getan wird nur das Gegenteil, man versucht, mit den Symptomen fertig zu werden», klagt Asserate, der nach dem Sturz seines Großonkels, des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, selbst politischer Flüchtling war. «Wenn wir uns wirklich und ehrlich
mit den Ursachen der Migration in Afrika beschäftigen, werden wir feststellen, dass die größten Exporteure von Migranten die afrikanischen Gewaltherrscher und Diktatoren sind, die ihrem eigenen Volk nicht die Möglichkeit geben,  in ihrem eigenen Land ein menschenwürdiges Dasein zu führen.»

Zu lange und zu oft hätten die Europäer im Rahmen von «Realpolitik» daran festgehalten, Endlos-Präsidenten und Diktatoren zu unterstützen, zu oft würden Regime verharmlost, deren Menschenrechtsbilanz skandalös sei. Da verliere Europa seine Glaubwürdigkeit. «Was mich am meisten ärgert: Wenn Europäer ihre eigenen Wertmaßstäbe im Umgang mit afrikanischen Potentaten aufweichen.»

«Wie wäre es denn, wenn Europa, das als Kolonialmacht nach Afrika gekommen ist, noch einmal als Befreier kommt? Und uns von diesen Menschen befreit, von unseren eigenen Leuten?» fragt Asserate rhetorisch. Nicht mit militärischen Mitteln, fügt er schnell hinzu:. «Ich meine nicht, dass die Europäer jetzt Kriege führen sollen, sondern Potentaten Hilfe entziehen. Die sollen ihre Koffer packen.»

Mauern gegen Flüchtlinge seien keine Antwort, betont Asserate. Und auch an die Abschreckung potenzieller Migranten durch Schilderung der Probleme, auf die sie in Deutschland oder anderen europäischen Staaten vorfinden, glaubt er nicht. «Die wissen ganz genau, wie das Leben in einem Flüchtlingsheim aussieht, dass die Straßen nicht mit Gold gepflastert sind, dass kein Bargeld mehr gegeben wird», sagt er angesichts der Verbreitung von Mobiltelefonen und Internetcafes in
Afrika.

Gerade mit Blick auf Herausforderungen  durch die Migration müsse Europa endlich zu einer gemeinsamen Afrikapolitik finden, meint Asserate. Ein Marschallplan für den Kontinent, aber auch mehr Engagement der Wirtschaft, die dann allerdings auch die entsprechenden Garantien brauche: «Wenn man 50 Prozent der deutschen Entwicklungsprojekte für nachhaltige Projekte und 50 Prozent als Wirtschaftsgarantie einsetzen würde könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.»

Gute Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe sieht Asserate als die beste Entwicklungshilfe». Denn europäische oder westliche Bestrebungen, Afrika zu «retten», lähmten die Eigeninitiative der Menschen. - Da bleibt nur zu hoffen, dass auch viele derjenigen, die glauben, sie seien so viel besser geeignet als die Afrikaner selbst, die zahlreichen Probleme zu lösen, das Buch lesen: Safari- und Strandurlaubern, die am Urlaubsort Bonbons oder abgelegte Kleidung an die einheimische Bevölkerung verteilen, Volunteers, die bevorzugt in Waisenhäusern arbeiten oder die Hobby-Weltverbesserer, die mal eben eine eigene NGO gründen, weil sie fest überzeugt sind, das besser zu können als die Profis der Organisationen, die professionelle Entwicklungszusammenarbeit betreiben.

Wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze für die schnell wachsende Bevölkerung, das könne Massenmigration eindämmen. «Die Bevölkerungsexplosion ist nicht mehr zu kontrollieren», betont Asserate angesichts der mittlerweile 1,2 Milliarden Afrikaner, von denen ein großer Teil jünger als 25 Jahre alt ist. «Um das zu kompensieren, bräuchten wir eigentlich ein jährliches Wirtschaftswachstum von sechs bis sieben Prozent.»


Asfa-Wossen Asserate
Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten
Propyläen, Berlin 2016
20 Euro, ca 220 Seiten
978-3-549-07478-7

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