"Die Annäherung" - Das Schweigen zwischen den Generationen
#Literatur # Österreich #Alter
Still, nachdenklich,
ohne Sentimentalität schreibt Anna Migutsch in “die Annäherung”
über das Altern, das Sterben und letzte Fragen. Ihr berührendes,
eindringliches Buch handelt aber auch von einem Generationskonflikt
und dem Ringen um Vergangenheitsbewältigung und -Aufarbeitung.
Theo weiß, die
längste Zeit seines Lebens hat er hinter sich. Mit 96 Jahren ist das
keine Überraschung. Doch bislang ist der rüstige ehemalige Gärtner
von Gebrechen und Krankheiten, die andere schon in sehr viel jüngeren
Jahren bewältigen müssen, verschont geblieben. Ein Schlaganfall
wird dann aber doch noch zur Erinnerung daran, dass vor dem Ende nur
allzu oft der Verfall kommt – körperlich oder geistig, manchmal
auch beides. Das Ringen um die letzte kleine Selbständigkeit, um
Würde und Selbstbestimmung kann da zum letzten großen Kampf werden.
Mit genauem Blick,
liebevoll aber unsenitmental, ohne Larmoyanz schildert Migutsch
diesen letzten Lebensabschnitt. Annäherung, das ist gleich auf
mehreren Ebenen das Thema dieses Buches: Theo nähert sich dem
eigenen Tod an. Eine – sperrige und schwierige – Annäherung
versucht aber auch seine Tochter Frieda. Lange Jahre war ihr das
Elternhaus, der Zugang zum eigenen Vater versperrt, denn das Klima
zwischen Frieda und Berta, der zweiten Frau Theos nach dem frühen
Tod von Friedas Mutter, ist vergiftet, von Misstrauen und Eifersucht
geprägt.
Doch auch ohne Berta
steht genug zwischen Vater und Tochter, allen voran die
unbeantworteten Fragen, was Theo im Zweiten Weltkrieg gemacht hat.
Frieda weiß, ihr Vater war in Russland, in der Ukraine – da, wo
deutsche Sonderkommandos besonders grausam gewütet, Kriegsverbrechen
an Juden, an Partisanen, an sowjetischen Kriegsgefangenen begangen
haben. Ist auch Theo schuldig geworden? Was hat er gesehen, was weiß
er? Wie viele ihrer Generation, die von der 68-er Berwegung geprägt
wutden, fordert Frieda wütend Antworten, doch lange Zeit herrscht
nur Schweigen zwischen den Generationen. Das Ringen um Liebe und das
Ringen um Anerkennung sind gleichermaßen schwierig.
Wenn Theo
zurückblickt, dann vor allem auf seine Kindheit und Jugend, geprägt
von Armut und harter Arbeit, von Genügsamkeit, aber auch dem Wunsch,
mehr lernen zu können. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen und sich selbst
Rechenschaft abzulegen: “Bevor manrichtig begriffen hat, wie alles
zusammenpasst, dachte er jetzt, ist es auch schon zu Ende.”, heiß
es an einer Stelle. “Und erst am Schluss bekam man so etwas wie
einen Überblick, und gerade der machte das Ganze noch unfassbarer.
Wie wenig übrig blieb, wenn er bedachte, was alles hätte sein
können, wie viele Leben er sich vorgestellt und nicht gelebt hatte.”
Das klingt
vielleicht nach Resignation, doch die ukrainische Altenpflegerin
Ludmilla schafft es, Theo in seinem inneren Rückzug von der Welt zu
erreichen. Ist es eine Art letzte Liebe, die der alte Mann spürt,
väterlicher als gegneüber der eigenen Tochter? Ist da etwas an der
jungen Frau, was ihn an seine eigenen Kämpfe erinnert? Die
Annäherung zwischen Ludmilla und Theo, auch sie fügt sich ein in
dieses Leitmotiv von der Suche nach Nähe.
Alles ist endlich,
alles vergeht. Nicht immer gibt es auf die letzten Fragen Antworten.
Anna Migutsch hat mit “Die Annäherung” ein Buch über ein
schweres Thema geschrieben, ein Buch, das berührt und trotz dunkler
Töne einen Hoffnungsschimmer lässt.
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