Die Tote im Wannsee - 68-er Krimi aus dem geteilten Berlin

 #Krimi #Zeitgeschichte #Spannung



Eine Frau stirbt, während die Messerklinge wieder und wieder in sie eindringt. Ihre letzten Gedanken, ihr letztes Aufbäumen - das ist der rasante, dramatische Start in "die Tote im Wannsee". Es ist das Jahr 1968, Berlin ist noch geteilt, und auf den Straßen demonstrieren die Studenten. Es brodelt in der Gesellschaft und es geht nicht nur um die ganz normalen Auseinandersetzungen zwischen den Generationen, sondern auch um das Erbe des Nationalsozialismus und der immer noch ausstehenden Aufarbeitung deutscher Verbrechen, Schuld und Verantwortung.

Die tote Frau, sie wird zum Fall für Kommissar Wolf Heller, der in gewisser Hinsicht ein einsamer Wolfs im Großstadtdschungel erweckt, auch wenn er als Untermieter einer alleinerziehenden Mutter gewissermaßen Familienanschluss hat. Heller ist einer, der nicht recht in die damalige Polizei zu passen scheint – einer, der in mancher Hinsicht mit den Studenten sympatisiert, der spätnachts in einer Bar Klavier spielt, der Nutten nicht mit Gleichgültigkeit oder Verachtung behandelt. Heller ist Polizist wie sein Vater, der ein alter Nazi ist – und ist doch ganz anders. Vielleicht ist er auch deshalb Kriminalpolizist geworden, weil er seit 20 Jahren, seit seiner Kindheit, einem düsteren Familiengeheimnis nachspürt.

Vor allem aber ist Heller ein Kommissar, den das Schicksal der toten Frau nicht gleichgültig lässt. Er gibt sich nicht mit den einfachen Lösungen zufrieden, als ein Mörder gefunden zu sein scheint. Doch während der Fall offiziell geschlossen werden soll, stößt Heller auf Ungereimtheiten, auf neue Puzzlestücke, die ein anderes, wenn auch noch verschwommenes Bild auf den Fall werfen.

Die Wahrheit, sie scheint irgendwo in einer Kleingartenanlage im unmittelbarer Nähe des Grenzzauns versteckt zu sein. Je mehr Heller nachforscht, desto mehr eckt er bei den eigenen Vorgesetzen an und zieht auch jenseits der Berliner Mauer Aufmerksamkeit auf sich.

Viel Zeitkolorit und Geschichte einer bewegten Zeit hat das Autorentrio (Martin) Lutz, (Sven) Keller und (Uwe) Wilhelm mit einem spannenden Kriminalfall verbunden, der immer wieder neue Wendungen nimmt. Zwischen alten Nazis in den Reihen der Polizei über Stasi-Seilschaften bis hin zu Kommunarden und Studenten der 68-er Protestbewegung ist ein atmosphärisch dichtes und zugleich spannendes Buch entstanden,

Der Kriminalroman ist so auch eine literarische Zeitreise 50 Jahre in die Vergangenenheit.. Untermiete statt WG, der Protest der Studenten gegen den Springer-Verlag, Vietnamkrieg und die reichlich akademischen Diskussionen des Sozialistischen Studentenbundes, aber auch die Wut der politisch bewegten Frauen, die sich auch bei den 68-er Revolutionären wieder in Geschlechterklischees und einer Rollenverteilung gefangen sehen, aus der sie doch gerade ausbrechen wollen.

Viele der Nebenfiguren zeichnen diese Gesellschaft in Aufbruch und Veränderung wieder, die ein halbes Jahrhundert später bereits völlig fremd wirkt: Eine Zeit, in der Homosexuelle kriminalisiert wurden und der “Kupplerparagraf” es unverheirateten Paaren erschwerte, die Nacht zusammen in einer Wohnung zu verbringen. Die Autoren haben das Berlin des Jahres 1968 gründlich recherchiert, bis hin zur Sprache der verschiedenen Milieus.

Die Tote im Wannsee” ist spannend zu lesen und dürfte allen Lesern gefallen, die nicht nur die Frage “Wer war´s?” interessiert, sondern die auch ein Faible für Zeitgeschichte und/oder Gesellschaftskritik haben. 

Lutz Wilhelm Kellerhoof, Die Tote im Wannsee
Ullstein 2018 ca 380 Seiten
ISBN 978-3-55005064-0
 

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