Im Segelboot auf den Spuren von Selbsterkenntnis und Menschheitsgeschichte
#Reiseliteratur #Segeln #Mittelmeer
Der Himmel,
der Wind, das Meer. Das entschleunigte Leben auf einem Segelboot, entlang der
Küsten und zu den Inseln des Mittelmeer. Thomas Käsbohrers Buch „Die vergessenen
Inseln“ verdeutlicht einmal mehr: Manchmal ist der Weg das Ziel. Und viele
Reisen führen letztlich zu sich selbst.
Eigentlich
müsste „Sailing“ beim Lesen von „Die vergessenen Inseln“ in Dauerschlaufe
laufen – diese raue Stimme, die die Romantik des Segelns und die große Freiheit
auf dem Wasser heraufbeschwört. Eigentlich müsste der Blick auf einen Horizont
gehen, der endlose Weite zeigt, vielleicht gerade mal die diffusen Umrisse der
Küste oder der nächsten Insel in weiter ferne.
Doch egal ob
am Strand, auf dem heimischen Sofa oder auf einem Balkon mit Blick aufs
Betonmeer – das Buch von Thomas Käsbohrer nimmt mit auf eine Reise, und das
gleich dreifach. Da ist vordergründig natürlich die Seglergeschichte, die Reise
von Insel zu Insel, in Lagunen und Häfen, der Kampf mit den Elementen, das
Leben auf dem Schiff „Levje“, wo immer etwas gemacht werden muss. Dass Thomas Käsbohrer auf dem Wasser sein
Element gefunden hat und das Segeln eine ungebrochene Faszination ausübt, ist
jeder Seite anzumerken.
Daneben ist
da die „innere Reise“ – allein auf dem Boot, den Gedanken nachhängend, die
Langsamkeit des Seins genießend. Es ist ein entschleunigtes Leben ohne
Terminkalender – wichtiger sind Gezeiten und Sturmvorhersagen. Es gibt keine
Überflutung mit ständig neuen Reizen, die für die meisten Menschen in der
westlichen Gesellschaft mittlerweile zum Alltag gehören und die innere Ruhe
buchstäblich verdrängen. Zeit zu haben, um einfach mal nachzudenken, ist ein
Luxus geworden, und den hat Käsbohrer reichlich. So ist das Unterwegssein im
Mittelmeer auch eine Reise der Selbsterkenntnis.
Zur Selbsterkenntnis
gehört aber auch: Wir kommen nicht unversehends aus dem Nichts, gerade am
Mittelmeer trafen Zivilisationen zusammen, wurden Menschen sesshaft, trieben
Handel, führten Kriege. Hier entstanden Philosophie, Mathematik, Rechtssysteme,
die unsere Gesellschaften noch heute prägen. Einen Teil der Geschichte der
Menschheit kann man auf dem noch heute funktionierenden Kurs eines Bootes durch
das Mittelmeer nachvollziehen.
Käsbohrer
verwebt Faktenwissen mit eigenen Vorstellungen: So könnte es gewesen sein.
Vielleicht versorgten sich so die Jäger und Sammler der Steinzeit auf den
Inseln mit Obsidian, vielleicht verlief der Abend vor der Seeschlacht von
Salamis so, vielleicht… es ist nicht reines Seemannsgarn, aber ein bißchen
Fantasie wird auf durchaus lesenswerte Weise mit historisch belegten Fakten
verwoben. Der Blick über das endlose Wasser, er regt schließlich zu Nachdenken
an.
Für Freunde
des Segelns und der Reiseliteratur eigentlich ein Muss, aber auch für alle
Landratten empfehlenswert, die erst noch erkennen müssen, was die Faszination
des Unterwegsseins ausmacht.
Thomas Käsbohrer, Die vergessenen Inseln,
Penguin Verlag, 2018
ca 500 Seiten
ISBN 978-3-328-10178-9
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