Odyssee eines Heimatlosen - Wie hoch die Wasser steigen
#Literatur
Neben der Suche nach dem schnellen Geld muss es auch Fernweh
und Abenteuerlust gewesen sein, die Waclaw einst auf die Arbeit auf Bohrinseln
getrieben haben. Allerdings hat sich das Abenteuer auf Enge in einer
Männergemeinschaft erwiesen, die sich nicht unbedingt viel zu sagen hat. Die
Arbeit ist gefährlich, auch Waclaw hat seine Verletzungen davongetragen, innere
und äußere.
Über Langeweile, Einöde und Erschöpfung auf den
Offshore-Plattformen wie auch in den anonymen Apartments zwischen Nordafrika
und Texas hat ihm Matyas hinweggeholfen, sein bester Freund.
Doch Matyas ist verschwunden – ein Arbeitsunfall? Für Waclaw
ist die Arbeit plötzlich unerträglich geworden. Dass die Suche nach Matyas so
schnell aufgegeben wurde, dass niemand so wirklich am Schicksal des jungen
Ungarn interessiert scheint, zermürbt ihn. Von einer Auszeit kehrt er einfach
nicht zurück, die fristlose Kündigung erreicht ihn irgendwo zwischen Hafen und
Flughafen und Waclaw lässt sich treiben.
Zunächst nach Ungarn, gewissermaßen ein symbolischer
Abschied von dem Freund, gemeinsame Trauer mit dessen Schwester. Die Reise zu
den Wurzeln des Freundes eröffnet Waclaw aber auch, wie wenig er Matyas
eigentlich kannte. Was noch entging seiner Wahrnehmung? Waclaw zieht durch
Europa, knüpft an an Orten, die mit seiner Biografie verbunden sind, aber
letztlich ist es die Odyssee eines Heimatlosen und auch die Menschen, denen er
begegnet, sind letztlich entwurzelt, isoliert, Halt suchend.
Poetisch ist die Sprache in Anja Kampmanns Prosa-Debüt „Wie
hoch die Wasser steigen“ – und das ist kein Wunder. Bisher schrieb sie Lyrik. Poesie
und offshore drilling – das ist nun allerdings ein Gegensatz, und nicht gerade
in der Form eines sich ergänzenden Ying
und Yang. Sprachlich sind die Landschaftsbeschreibungen, das Dahintreiben
Waclaws schön zu lesen. Mit der eher derben Männerwelt, in der er sich auf den
Bohrinseln bewegte oder auch seiner Herkunft aus dem Ruhrpott hat das nichts
zu tun, sondern führt da zu einem gewissen Verfremdungseffekt.
Vielleicht ist das ja beabsichtigt, der Bruch zwischen
Poesie in der Beobachtung und der Sprach- und Perspektivlosigkeit des
Protagonisten. Waclaw hat sich fortbewegt aus dem „Pott“, von seinem polnischen
Vater, der sich im Bergbau eine Staublunge holte, fort von der Welt der
Taubenzüchter und Kleingärtner. Doch die Malocherkultur auf der Bohrinsel war
ähnlich, nur die Gefahren andere.
Da schließt sich ein Kreis, als Waclaw die
Taube eines einstigen Kumpels, der in der italienischen Heimat einen Neuanfang
versucht, über die Alpen bringt, um sie aufsteigen lassen. Die Taube schafft
vielleicht den Flug in den heimischen Schlag, doch für Waclaw, so ahnt man,
gibt es nirgends mehr einen Ort, den er Heimat nennen könnte: Die vielen
Wechsel und Veränderungen haben sein Leben buchstäblich verworfen.
Anja Kampmann: „Wie hoch die Wasser steigen“
Hanser Verlag, München 2018
352 Seiten, 23 Euro
ISBN 9783446258150
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