Der Tyrann - von Shakespeare und Machtmenschen
“Er ist ein
pathologischer Narzisst und in höchstem Maße arrogant. Er verfügt
über eine groteske Anspruchshaltung und hat nie einen Zweifel daran,
dass er tun knn, was er will. Er brüllt gern Befehle und sieht, wie
seine Untergebenen sie hastig ausführen. Er erwartet unbedingte
Loyalität, ist aber unfähig zur Dankbarkeit”
Wer nach diesen
Zeilen ein weiteres Enthüllungsbuch aus dem Weißen Haus oder ein
Psychogramm der Trump-Administration erwartet, täuscht sich. In
seinem Buch “Der Tyrann” schildert der Literaturwissenschaftler
und Pulitzer-Preisträger den Charakter des Shakespeare-Schurken
Richard III. Darin setzt er sich mit “Shakespeares Machtkunde für
das 21 Jahrhundert” auseinander.
Der Keim seines
Buches, so schreibt Greenblatt, sei seine “wachsende Sorge über
den Ausgang einer bevorstehenden Wahl” gewesen. Und nachdem die
Wahl seine schlimmsten Befürchungen bestätigt habe, grübelte er
weiter über “Shakespeares unheimliche Relevanz für die politische
Welkt, in der wir uns nun befinden”, heißt es ohne namentliche
Erwähnung Trumps.
Wie aktuell
Shakespeares Dramen mit ihren Schilderungen von Machtgier und
Intrige, politischer Verantwortung und Manipulation des Volkes sind,
zeigt Greenblatt besonders an Aufstieg und voll von Richard III und
Macbeth, aber auch die Frage des Tyrannenmords in Julius Caesar und
die Vereinsamung an der Macht am Beispiel von König Lear werden
erörtert.
Auch das Umfeld, in
dem Shakespeares Dramen entstanden, kommt zur Sprache: Kritik an der
Königin hätte schließlich als Verrat gegolten. Jedliche Kritik an
Tyrannei in einer Zeit, in der staatiche Zensoren auch in
Theatersälen nach Anzeichen für aufrührerisches Gedankengut
hielten, hatte sich also tunlichst auf eine Herrschaft in der
Vergangenheit und so fiktiv wie möglich zu beziehen,
Mit zahlreichen
Zitaten aus den geschilderten Werken beschreibt Greenblatt Populismus
und Größenwahn, Paranoia der Mächtigen und die Haltung derjenigen,
die den Aufstieg des Tyrannen überhaupt erst ermöglichen. Welche
Möglichkeiten gibt es noch, die Entwicklung zu stoppen oder
zumindest zu mildern? Wer durchschaut die Tyrannei, wie regt und
organisiert sich Widerstand? Fragen wie diese sind zeitlos und nicht
auf die Bühnenbretter des elisabethanischen Zeitalters beschränkt.
Angesichts aktueller
Ereignisse hält der Literaturwissenschafler eine geradezu tröstliche
Anaklyse bereit: Shakespeare habe nicht geglaubt, dass sich Tyrannen
sehr lange halten könnten: “Egal wie schlau sie ihren Aufstieg
planten, einmal an der Macht waren sie erstaunlich inkompetenz.”
Die Existenz von Langzeitpräsidenten, die sich ihre Herrchaft in
einigen Ländern gerne auf Lebenszeit sichern wollen, widerspricht
dieser Sichtweise zwar. Doch selbst brutale Herrscher schafften es
zumindest bei Shakespeare nicht, die gesamte Opposition zu vernichten
– Isloilation und Arroganz beschleunigten den Sturz nur noch mehr.
Trump oder Putin
sind nicht Richard III. oder König Lear, doch eine spannende Analyse
ist “Der Tyrann” dennoch – nicht nur für Politik- und
Literaturwissenschaftler.
Stephen Greenblatt, Der Tyrann. Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert
Siedler Verlag, München 2018
ca. 215 Seiten
ISBN 978-3-8275-0118-9
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