Der neue Antisemitismus - wichtiges Buch zur richtigen Zeit
Mit
„der neue Antisemitismus“ hat Deborah Lipstadt ein wichtiges Buch
zur richtigen Zeit geschrieben. Vermutlich wäre es der
Holocaustforscherin, die sich auch vor Gericht mit
Geschichtsfälschern und Holocaust-Leugnern auseinandergesetzt hat,
lieber gewesen, es bestehe kein Anlass zu diesem Buch.
Doch
nicht nur Anschläge auf jüdische Einrichtungen in den USA und in
Europa, zuletzt in Pittsburgh, machen das Buch buchstäblich
brandaktuell. Auch in Deutschland ist „Du Jude“ auf vielen
Schulhöfen als Schimpfwort zu hören. Beratungsstellen alarmieren –
antisemitische Angriffe, ob in Worten oder Taten, nehmen auch an
Schulen wieder zu.
Was ist
Antisemitismus, wo kommt er her, wo ist er auf der rechten oder auf
der linken Seite des politischen Spektrums zu finden? Ist Kritik an
Israel antisemitisch, oder wird der Antisemitismus-Vorwurf in der
Debatte etwa um die israelische Siedlungspolitik gewissermaßen als
Totschlagsargument benutzt, um Kritiker zum Schweigen zu bringen?
Lipstadt
könnte all diese Fragen in einer eher abstrakten Analyse
beantworten. Sie hat sich entschieden, sie in einem fiktiven
Briefwechsel zu erörtern und so zugleich in den Dialog mit dem Leser
zu treten. Denn viele der Fragen, der Erlebnisse und Erfahrungen, die
hier zur Sprache kommen, haben viele sicher selbst schon gemacht und
sich gestellt – ganz unabhängig davon, ob sie selbst jüdisch sind
oder nicht.
In den
fiktiven Emails sucht Lipstadt das Gespräch mit der jüdischen
Studentin Abigail und ihrem liberalen, nichtjüdischen
Hochschulkollegen Joe. Beide bringen so ihre eigenen Perspektiven
ein, sei es zur Boykottbewegung gegen Israel, traditionelle
Vorurteile und Klischees, Debatten über die Rollen von Juden in
Medien oder im Finanzwesen, aber auch ganz persönliche Erfahrungen
mit Antisemitismus und der Frage: Wie kann ich hier als einzelner
angemessen reagieren?
Dabei
zeigt sich auch, wie schnell Antisemitismus kleingeredet oder
übersehen wird wenn er von einer Seite kommt, der man sich selbst
nahe fühlt, wie auch ein Beief britischer Studenten an Lipstadt
zeigt, die sich mit Antisemitismus-Vorwürfen innerhalb der Labour
Party auseinandersetzen.
„Solange
wir Antisemitismus nicht einmal in unseren eigenen Reihen erkennen,
wird unser Kampf gegen ihn vergeblich sein“, mahnt sie darin.
Klug,
nachdenklich, kritisch und ironisch – Lipstadt hat ein lesenswertes
und wichtiges Buch geschrieben, in dem es keine einfachen Antworten
gibt und in dem sie sich auch kritisch mit denjenigen
auseinandersetzt, für die der Kampf gegen Antisemitismus zur
Quintessenz der eigenen jüdischen Identität wird. „Dieser
wohlmeinende jüdische Vater hat seinen Kindern ein reiches und
vielschichtiges Erbe vorenthalten“, schreibt sie über die
Begegnung mit einem Gemeindevorsteher, der bedauertt, dass seine
Kinder jüdische Traditionen nicht kennen, jedoch voll Stolz ist,
dass sie jederzeit gegen Antisemitismus auf die Barrikaden gegen.
„Ihnen wurde beigebracht, sich vor allem als ewige Opfer zu sehen.“
Deborah Lipstadt, Der neue Antisemitismus
Piper-Verlag, 2018
304 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-8270-1340-8
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