Motti, die Liebe und die Mame - Liebesleiden mit Mutterwitz

Motti ist 25, lebt noch immer zu Hause und hat noch nie mit einer Frau geschlafen. Dafür soll er heiraten, und zwar dalli. Leider hat der Frauen durchaus zugeneigte schüchterne Wirtschaftsstudent aus Zürich bei der Wahl der Frau fürs Leben herzlich wenig mitzureden, seine resolute Mutter dagegen führt das große Wort und präsentiert eine Kandidatin nach der anderen, die so drall und fromm sind wie sie selbst. So sehr Motti seine Mame auch liebt - er will nicht mit ihrem Alter Ego verheiratet sein.

Konflikte sind da fast schon vorprogrammiert. Denn Motti Wolkenbruch, eigentlich Mordechai, ist das Nesthäkchen einer frommen jüdisch-orthodoxen Familie. Er pendelt zwischen zwei Welten - dem modernen Unibetrieb, an dem er zwangsläufig mit den Gojim zu tun hat, und die Welt der Schabbatessen, der jüdischen Gemeinde und einer Atmosphäre, in der Nestwärme und Kontrollzwang ziemlich nahe beieinander liegen. Der sanftmütige Motti will keinen Ärger, doch er will echte Liebe, nicht religiös-korrekte Ehefrauen. Und dann verguckt er sich ausgerechnet in die nichtjüdische Kommilitonin Laura. Eine Schickse, würde Mama Judith sagen. Oy vey!

Mit viel jiddischem Wortwitz (buchstäblich, das Buch ist mit jiddischen Ausdrücken gespickt) schreibt Thomas Meyer über das Liebesleid von Motti, seine Familie, in der Mame Judith das große Wort führt und Papa Moische sich im Zweifelsfall hinter seiner Zeitung verschanzt. Manches Klischee bleibt dabei nicht aus, und die Welt der Orthodoxen ist ja nun beileibe nicht der einzige Ausdruck jüdischen Lebens. Der komödiantische Grundton unterscheidet den Motti-Roman etwa von Deborah Feldmans "Unorthodox", in dem sie ihre Trennung von der ultraorthodoxen Welt ihrer Kindheit beschreibt.

Doch Motti will ohnehin keinen Ausbruch, er will nicht mit Religion oder Familie brechen - er will Liebe. Ist er für Laura und ihre WG-Mitbewohner nur der Exot aus einer fremden Welt mitten in der eigenen Stadt? Das Buch ist mittlerweile auch verfilmt, derzeit läuft "Das Erwachen des Motti Wolkenbruch" auf Netflix, und auch einen Folgeroman gibt es seit wenigen Wochen.

Ich-Erzähler Motti, mal zaudernd, mal entschlossen, jetzt auch mal das Verbotene zu probieren, ist ein liebenswerter Anti-Held, auch wenn die Figur der überbehütenden, kontrollierendenm geradezu zwangshaft luebenden Mutter manchmal hart am Stereotyp entlangschliddert. Eine bittersüße Liebessatire, die augenzwinkernd Klischees auf die Schippe nimmt. 

Thomas Meyer, Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse
Diogenes-Verlag, 2014
288 Seiten, 12 Euro
ISBN 978-3-257-24280-5

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