Mörderische Schwesternliebe
Oops, she did it again! Kann Krankenschwester Korede nach dem Anruf
ihrer kleinen Schwester Ayoola nur denken. Sie hat es schon wieder getan. Denn
während manche die Modedesignerin aufgrund ihres Äußeren als männermordendes
Traumgeschöpf bezeichnen können, rammt Ayoola Männern in der Tat gerne mal eine
20 Zentimeter lange Klinge zwischen die Rippen.
Nun auch ihrem gegenwärtigen beziehungsweise ehemaligen Freund.
Das ist nun bereits der dritte – und damit erfüllt Ayoola
ganz offiziell die FBI-Standards für Serienmörder. Doch auch wenn die Schwester
eine Serienmörderin ist – Blut ist nun einmal dicker als Wasser. Und so macht
sich Korede mit Bleiche und anderem Material als Reinmachen, um Tatspuren zu
beseitigen und die Leiche zu entsorgen. Ayoola mag schnell mit der Klinge sein,
mit dem gründlichen Aufräumen nach der Tat hat sie es nicht so, da verlässt sie
sich lieber auf die große Schwester.
Es ist schon eine ganz besondere Schwesternbeziehung und
Familiengeschichte, die die nigerianische Autorin Oyinkan Braithwaite in ihrem
Debütroman „Meine Schwester, die Serienmörderin“ beschreibt. Ältere Geschwister
kennen das seit ihrer Kindheit: Wenn die Kleinen Mist bauen, bekommen die
Älteren Vorwürfe: Warum hast du nicht besser aufgepasst? Wobei die Konsequenzen
bei Mord und Beihilfe ein bißchen ernster sind. Schon aus Eigeninteresse muss
Korede also aufpassen, dass Ayoola nicht auffliegt. Dabei ist die
Familiendynamik schon ohne Serienmorde nicht ohne Probleme.
Denn Korede mag die Ältere sein, diejenige, die nach einem
neuen Mord nicht den Kopf verliert und als Oberschwester im Krankenhaus auch
beruflich respektabel dasteht. Doch im Leben und in der Liebe wird alles
überschattet durch Ayoola, die durch ihre Schönheit allen Männern den Kopf
verdreht und dank ihres Äußeren auch sonst im Leben offene Türen findet. Selbst die eigene Mutter zieht die schöne
jüngere Tochter eindeutig der unauffälligen Korede vor. Als dann auch noch der
Klinikarzt, in den Korede heimlich
verliebt ist, sich in Ayoola verliebt, reagiert sie nicht nur eifersüchtig,
sondern auch besorgt. Schließlich haben die Männer in Ayoolas Leben eine kurze
Verweildauer.
Der einzige Mensch, dem sich Korede in ihren Nöten
anvertraut, ist ein Komapatient. Der
wacht dann entgegen aller Prognosen nicht nur auf, er kann sich auch an die Monologe
der Krankenschwester erinnern. Ein vergleichbare kleines Problem angesichts der
sprunghaften Ayoola, die die
Aufmerksamkeit der Polizei und der Angehörigen ihrer Opfer auf sich zu ziehen
droht. Da ist es fast schon wieder von Vorteil, dass in der Mega-Metropole
Lagos Korruption zum Alltag gehört.
Erst nach und nach wird in diesem mit hohem Erzähltempo und
bissigem Humor geschriebenen Roman klar, dass Gewalt in der Familie Wurzeln
hat: Das Messer, mit dem Ayoola ihre Männer umbringt, gehörte einst dem Vater,
einem brutalen und gewalttätigen Patriarchen. Gerade Ayoola musste unter seinen
Launen leiden – und wurde als die Schönheit der Familie zugleich
Geschäftspartnern regelrecht „angeboten“.
Welche Rolle die Schwestern beim Unfalltod des Vaters spielen, bleibt
offen – doch ich könnte mir gut vorstellen, dass es sich buchstäblich um einen
Befreiungsschlag gehandelt haben könnte.
In manchen Szenen ist „Meine Schwester die Serienmörderin“
so grell und dramatisch wie ein Nollywood-Film, in anderen zeigt dieses Buch
das widersprüchliche und doch unzerreißbare Band, das so vielleicht nur
zwischen Schwestern besteht – komme, was wolle. Und so manche aberwitzige
Situation strapaziert die Lachmuskeln. Dieser Debütroman macht neugierig auf mehr von
Oyinkan Braithwaite.
Oyinkan Braithwaite, Meine Schwester, die Serienmörderin
Aufbau-Verlag, 2020
240 Seiten, 20 Euro
978-3-351-05074-0
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