Mordserie und Babyblues

Ein ungewöhnliches Mordwerkzeug,  eine Mordserie, die Kopenhagen aufschreckt und viele Fragen nach Verantwortung und Missbrauch im Gesundheitswesen - mit ihrem Thrille "Glasflügel" hat die dänische Autorin Katrine Engberg einen weiteren Roman um das Ermittlerduo Jeppe Korner und Anette Werner geschrieben, der in sich abgeschlossen ist, aber auf Entwicklungen der Vorgänger basiert.

So setzt Korner seine heimliche Beziehung zu seiner Kollegin Sara fort und grübelt weiterhin: Ist es nur Sex oder ist es Liebe? Ist er bereit für eine Beziehung, die auch zwei Kinder einschließt, Patchworkfamilie statt Ungebundenheit? Wobei es auch mit der Ungebundenheit nicht weit her ist - nach seiner Scheidung ist Korner erst einmal wieder bei seiner Mutter eingezogen, die nun auch während der Arbeit an einem Fall ständig anruft. Als Erwachsener zurück im Kinderzimmer - gar nicht so einfach.

Vor allem, da die mütterlichen Anrufe erst recht störend sind, seit täglich eine nackte Leiche in einem Brunnen gefunden wird, gespenstisch weiß, da buchstäblich ausgeblutet. Der Täter benutzte ein Schröpfmesser, ließ seine Opfer verbluten. Alle von ihnen haben einmal in einem Heim für psychisch kranke Jugendliche gearbeitet. Ein Mädchen, das dort Aufnahme gefunden hatte, hatte sich einst die Pulsadern aufgeschnitten. Liegt hier der Schlüssel zu dem Fall?

Bei seinen Ermittlungen muss Körner ohne seine Partnerin Werner auskommen, eigentlich - denn die ist in Elternzeit.  Wirklich glücklich ist die Polizistin in ihrer Mutterrolle allerdings nicht - während ihr Ehemann völlig im Vatersein aufgeht, ist sie zunehmend genervt. Warum schreit das Kind ständig? Das Stillen hätte sie sich auch nicht so anstrengend vorgestellt und vor allem möchte sie endlich mal wieder ausreichend schlafen.  Muttergefühle wollen sich da nicht so recht einstellen, statt dessen verfolgt Werner heimlich aus dem trauten Heim Hinweise und stellt eigene Ermittlungen an.

Es geht also ziemlich vielfältig um Familien, ihre Dynamik und ihre Altlasten. Kaputte Familien, zerstörte Familien, Familien, die sich erst noch zusammenfinden müssen, Familienersatz - kurz, die ganz besonderen Bande von Liebe, Nähe, aber auch Enttäuschung oder Hass, die in anderen sozialen Zusammenhängen  selten so intensiv sind. Wie heißt es schließlich? Blut ist dicker als Wasser.

Es ist aber auch etwas faul im Staate Dänemark, genauer gesagt in seinem Gesundheitssystem, wie die Ermittlungen zeigen. Wer kontrolliert eigentlich, wie gut psychisch Kranke, gerade auch Jugendliche, betreut werden? Was passiert, wenn sie mit 18 Jahren sozusagen aus der Zuständigkeit der Behörden fallen? Kann es wirklich noch sein, dass Patienten mit Medikamenten ruhig gestellt werden ? Engberg schafft es, spannend und empathisch zu schreiben und findet die richtige Mischung aus einem interessanten Plot und der persönlichen Entwicklung ihrer Hauptfiguren, die lebensnah und glaubwürdig wirken. Die Lösung ist ebenso überraschend wie stimmig.

Katrine Engberg, Glasflügel
Diogenes, 2020
ca 425 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-257-07123-8

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