Von Fremdheit und Dazugehören-Wollen - Fast ein neues Leben

 Vom Leben im neuen Land und dem Gepäck des alten Landes erzählt Anna Prizkau in ihren Kurzgeschichten, die unter dem  Titel "Fast ein neues Leben" zusammengefasst sind. Mit der Ich-Erzählerin hat sie so manches gemeinsam - In Russland geboren, in den 90-er Jahren nach Deutschland gekommen, das Gefühl der Fremdheit, der Wille, dazu zu gehören, der Kampf mit der fremden Sprache, die sie sich dann zu eigen macht - immerhin ist sie Theaterautorin. 

Der Preis, der für das neue Land gezahlt wird, wird eher von der Elterngeneration entrichtet - die psychischen Probleme der Mutter, der Akzent, der sich auch nach vielen Jahren nicht loswerden lässt und der der Tochter peinlich ist. Freunden verschweigt sie die Eltern und ihre Biografie.

Teils geht es in den zwölf Geschichten um diese Migrations- und Fremdheitserfahrungen, teils um Disfunktionalität in der Familie und die üblichen Coming of Age-Probleme. Um unglückliche Beziehungen, Scheitern an sozialen Barrieren oder sexuelle Belästigung braucht es schließlich keinen Migrationshintergrund, das sind universelle Erfahrungen. 

Prizkau beherrscht die Kunst, auf wenigen Seiten eine Geschichte zu entwickeln von Hoffungen und zerbrochenen Illusionen, von Ehrgeiz und falscher Liebe. Die Familiengeschichte ist ein roter Faden, der die meisten dieser Episoden verbindet. Sprachlich  gibt es immer wieder so einfach klingende wie bildhaft-poetische Formulierungen, die den Reiz dieser Geschichten ausmachen. Zum Beispiel: "Jetzt lächelte ich nur noch, um zu verbergen, dass ich nichts verstand. Um meine Angst vor diesem Land und dieser Sprache  hinter den straff gespannten Mund zu stecken."

"Fast ein neues Leben" hat nicht die Wucht und Tiefe etwa von "Herkunft" von Sasa Stanisic, bemüht sich auch relativ wenig um die Identität der "neuen Deutschen", sondern reflektiert eher die individuelle Suche einer jungen Frau nach ihrem Platz im Leben. 


Anna Prizkau, Fast ein neues Lebem

Friedenauer Presse, 2020

112 Seiten

ISBN 978-3-7518-0600-8


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