Zwische Polarnacht und ewigem Eis - "Eingefroren am Nordpol"
Ein Jahr in der Arktis, mit einer Eisscholle driftend, eine Forschungsstation auf dem Eis – kein Zweifel, die „Mosaic“-Expedition an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern war nicht nur eine Gelegenheit, wissenschaftliche Daten aus der unzugänglichen und extremen Region um den Nordpol zu erhalten. Sie war auch ein großes Abenteuer, bei aller Vorbereitung, Sicherheitsmaßnahmen und –technik. Die meisten Menschen können nur davon träumen, in ihrem Leben einmal so etwas zu erleben. Expeditionsleiter Markus Rex, der schon auf zahlreichen Forschungsreisen war, nimmt Leser mit dem nur wenige Wochen nach der Rückkehr veröffentlichtem Logbuch von der Polarstern mit auf die Reise ins – wie sich zeigt – gar nicht mehr so ewige Eis. Dabei tritt er auch in die Fußstapfen der ersten Entdecker und Reisenden, allen voran Fridtjof Nansen.
Rex leitet die Atmosphärenforschung des Alfred
Wegener-Instituts und ist Professor für Atmosphärenphysik an der Universität
Potsdam. Mit „Eingefroren am Nordpol“ hat er allerdings nicht
Fachwissenschaftler im Sinn, sondern Menschen, die sich für den Alltag auf
einem Forschungsschiff interessieren, schon immer mal wissen wollten, wie eine
wissenschaftliche Expedition abläuft und sich fragen, welchen Erkenntnisgewinn
die Reise in die Arktis abgesehen von spektakulären Eindrücken von Eisbergen,
Eisbären und Polarnacht bietet. Die Antworten werden nicht nur
allgemeinverständlich formuliert, zahlreiche Bilder und Darstellungen nehmen die
Leser mit auf die Reise. Und auch die ganz besonderen Probleme, die die
Corona-Pandemie selbst dem Forscherteam bescherte, werden anschaulich
geschildert.
Das Jahr in der Arktis erlaubte den Wissenschaftlern, Landschaft, Klima und Ökosystem
kennenzulernen wie nie zuvor. „Wir haben ihren Herzschlag verfolgt und unsere
Scholle durch alle Phasen ihres Lebenszyklus begleitet“, schreibt Rex in seinem
Buch. Die Proben und Messdaten der Expedition dürften noch in den kommenden
Monaten und Jahren analysiert und ausgewertet werden. Doch manche Erkenntnis
konnten die Wissenschaftler bereits während ihrer Reise gewinnen: So habe sich
das Eis im Frühsommer und Sommer 2019 und 2020 schneller zurückgezogen als
jemals zuvor, schreibt Rex: „Die Eisausdehnung war im Sommer nur noch gut halb
so groß wie vor Jahrzehnten und die Dicke kaum noch mehr als halb so dick wie
zu Nansens Zeiten.“ Während des Winters seien fast durchgehend etwa zehn Grad
höhere Temperaturen gemessen worden als während der Nansen-Expedition vor rund
125 Jahren.
Es klingt vielleicht wie ein Paradox, doch gerade die
Arktis, die als Welt ewigen Eises gilt, erwärmt sich schneller als jede andere
Region der Erde. Und das ist nicht nur
ein Problem der Eisbären, deren Jagdterritorien und Lebensgrundlagen schrumpfen.
Denn die Arktis, so erläutert Rex, ist eine Art Wetterküche auch für
Mitteleuropa. Zwischen der Erwärmung der
Arktis und den heißen Sommern der vergangenen Dekade gebe es einen
Zusammenhang.
Allein 150 Terrabyte an Daten haben die Polarstern-Forscher
von ihrer Expedition zurückgebracht. Mehr als 100 komplexe Klimaparameter
wurden ganzjährig aufgezeichnet. „Wir können die Prozesse jetzt in unseren
Klimamodellen nachbauen und damit besser abschätzen, welche Menge an
Treibhausemmissionen welche Auswirkungen auf das Klima der Arktis und weltweit
haben werden.“ Das so erhaltene Wissen sei auch eine wichtige Voraussetzung für
politische Entscheidungen über anstehende Klimaschutzmaßnahmen.
Die Begeisterung für die Sache, die Neugier auf die Erlebnisse in der Arktis auch nach vielen vorangegangenen Expeditionen ist beim Lesen deutlich zu spüren. Hier schreibt kein blasierter oder abgehobener Experte, sondern ein Wissenschaftler, der sich auf der Brücke des Forschungsschiff ebenso heimisch fühlt wie im Lehrsaal. Das Zusammenleben von Experten unterschiedlicher Nationen auf engem Raum, die Forschungsstadt auf der Eisscholle, mit der die „Polarstern“ sich den Strömungen überließ, gemeinsames Arbeiten und Feiern, aber auch Einsamkeit und Weite lassen ahnen, wie faszinierend und lebensverändernd so eine Expedition sein muss.
Dank meines Jobs hatte ich Gelegenheit, mit Markus Rex über sein Buch und seine Erfahrungen in der Arktis zu spreche - da wird schnell klar, das eine solche Reise nicht mal eben schnell abgehakt werden und zum Alltag zurückgewechselt werden kann. "Das sind schon ganz intensive Momente in dieser faszinierenden fantastischen Eislandschaft und der Schwärze der Polarnacht, aber auch im Sommer in der Schmelzphase“, sagte Rex. Er wolle mit dem Buch deutlich machen, “warum uns die Arktis mehr am Herzen liegen sollte und warum die Arktis eine Rolle dabei spielt, wie es mit unserem Leben hier in Europa weitergeht.“
Einen Lagerkoller habe es übrigens nicht gegeben. „Die
Umgebung, in der wir gearbeitet haben, ist ja sehr stimulierend“, meinte der
Expeditionschef. „Die Teilnehmer waren enthusiastisch und wissen, dass es ein
unheimliches Privileg ist, die zentrale Arktis überhaupt erreichen zu können –
das sorgte schon für eine positive, enthusiastische Stimmung an Bord.“ Es sei
klar, dass in einem kleinen isolierten
Team, eingefroren im Eis und weit weg von der menschlichen Zivilisation, alle
aufeinander angewiesen seien. „Da muss man sich zum Beispiel darauf verlassen
können, dass wir uns gegenseitig vor Eisbären schützen, wenn wir an der Reihe
sind, als Bärenwache die Kollegen zu schützen und zu verhindern, dass sie von
einem Eisbären angefallen werden können.“
Denn mit mehr als 60 Eisbärenbesuchen in dem Forschungsstädtchen
auf dem Eis kam es mitunter zu näheren tierischen Begegnungen als gewünscht. „Die
Eisbären sind neugierig, die möchten wissen, was da passiert und kommen von
sich aus sehr sehr nahe“, sagte Rex „Wir sind diejenigen, die sich zurückziehen
aufs Schiff und warten, bis die Eisbären weitergezogen sind, weil es nichts zu
fressen gibt.“
In der Dunkelheit der Polarnacht könne ein Eisbär manchmal
erst sehr spät wahrgenommen werden – das sei dann bei einer Distanz von 40 oder
50 Metern durchaus kritisch. Im Buch beschreibt
Rex, dass manche Bären erst nach mehrfacher „Aufforderung“ vertrieben werden
könnten. Die Hauptsache dabei: „Es ist weder einem Eisbären noch einem Menschen
etwas passiert.“
Markus Rex, Eingefroren am Nordpol. Das Logbuch von der
Polarstern
C. Bertelsmann Verlag, November 2020
320 Seiten
IsBN 978-3-570-10414-9
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