Ein Buch wie eine lange Kamerafahrt - Es war einmal in Hollywood

 Meist steht am Anfang das Buch, dann kommt die Verfilmung. Und möglicherweise wird die literarische Grundlage als "Buch zum Film" beworben. Wenn der Autor Quentin Tarantino heißt, ist es allerdings umgekehrt: Erst der Film. Dann gibt es noch ein Buch dazu. Und bei "Es war einmal in Hollywood" ist nicht zu übersehen, dass der Verfasser vom Film kommt. Wie eine lange Kamerafahrt wirken viele seiner Abschnitte, andere wie ausführliche Regieanweisungen. 

Auch wenn das Buch nicht verbergen kann, dass Tarantino ein Augenmensch ist - die Gewaltexzesse seiner Filme können auf Buchseiten einfach nicht dieselbe Dynamik entfalten. Das heißt nicht, dass es in dem Roman nicht ebenfalls blutig zugeht. Mit geplatzten Träumen und dem Abgesang auf die Zeit der großen Genre-Stars liegt zudem ein gewisser Hauch an Melancholie (und Alkoholnebel) über der Handlung.

Da träumt der Fernsehserien-Westernschurke Rick Dalton vom Ruhm auf der großen Leinwand, aber es muss die amerikanische sein. Eine Beteiligung an Spaghettiwestern, die ihm sein Agent anbietet, hält er für unter seiner Würde. Immer wieder in immer neuen Pilot-Episoden einen neuen aufstrebenden Serienstar als supporting act zu pushen, findet er aber auch nicht so großartig. Daher ein Übermaß ein Whisky Sour, der diese Probleme zwar nicht ertränken kann, aber es für Rick deutlich schwerer macht, textsicher auf dem Filmset zu erscheinen.

Cliff, Ricks Kumpel. Stuntman und Mädchen für alles, muss schon aus eigenem Interesse dafür sorgen, dass Rick die Drehs erfolgreich hinter sich bringt - der Schauspieler ist mittlerweile seine einzige Einnahmequelle. Und anders als dieser ist Cliff vom europäischen Kino oder japanischen Filmen schwer begeistert. In der Hinsicht ist er geradezu ein Feingeist - in anderer, eher simpel gestrickt mit seinen Bedürfnissen und Methoden. 

Der ernüchternde Abgesang auf die Filmbranche mit ihren falschen Träumen einerseits und auf die Mythen des Western andererseits gehören zu den Stärken des Buchs, und die eingewebten Anekdoten über Leinwandstars haben bei einem Autor wie Tarantino etwas von Insiderinformation - oder zumindest Weiterverbreitung von Hollywood-Klatsch. 

So weit, so gut. Was mich gestört hat, ist allerdings teilweise die Sprache. Sicher, Tarantino ist nicht der Typ, von dem ich einen Kotou vor der politischen Korrektheit erwarten würde. Und die Handlung spielt im Jahr 1969, wo die Themen Gleichberechtigung, Diversität und Toleranz in den meisten Hollywood-Köpfen noch lange nicht angekommen sind. Trotzdem, es fällt auf, dass Tarantino zwar (soviel Zugeständnis an den Zeitgeist muss wohl doch sein), dass N-Wort meidet, aber fortwährend von "Schwuchteln" oder "Muschis" schreibt, die gefickt werden.  Bin ich prüde, weil ich es uncool finde, wenn Frauen oder queere Menschen auf ihre Geschlechtsorgane reduziert werden? Hier gibt es von mir einen Stern Abzug bei diesem durchaus unterhaltsamen  Blick auf das Hollywood der späten 60-er.


Quentin Tarantino. Es war einmal in Hollywood

Kiepenheuer & Witsch, 2021

416 Seiten, 25 Euro

978-3-462-00228-7

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