Von Fernweh und Chancen

 Beim Lesen von "Öfter mal die Welt wechseln" von Armin Geiges hatte ich ein echtes Deja vu Erlebnis, erinnerte mich Art und Ton des Buches doch stark an Veranstaltungen meiner Studentenzeit. Leitende Redakeure machten in Zeiten großen Andrangs auf die Medien bei Veranstaltungen wie "Magisterstudium - und dann?" Vorschläge wie: Fahren Sie doch einfach mal ins nächste Krisengebiet und bieten Sie von dort Geschichten an. Die nächsten, damals aktuellen Krisengebiete waren unter anderem El Salvador und Nicaragua. Mal eben so hinzufliegen wäre mir schon allein finanziell nicht möglich gewesen.

Geiges dagegen zog es im Wendejahr 1989 nach Moskau und er knüpfte Kontakte mit Medienvertretern, die sich dann auch in der Folgekarriere immer wieder als einträglich wie auch erfolgreich erwiesen. Vermutlich kein Wunder, wenn er also im Rückblick auf sein Globetrotter- und Expatleben - unter anderem als Stern-Korrespondent in  China, für Spiegel-TV und RTL unterwegs in Russland, vier Jahre in Rio, dann als hochbezahlter Medienmanager in China - Fernwehgeplagten rät, bei der Lebensplanung  lieber den Gedanken an Sicherheit fahren zu lassen und ins Ungewisse zu springen, vorausgesetzt, man kommt dabei in die weite Welt. 

Dass er dabei über Sicherheitsdenken spottet und  gleichzeitig den Vorteil des Eigenheims (in seinem Fall: vermietetes Reihenendhaus und eine Hamburger Dachterassenwohnung) lobt, dürfte denn viel mit der Perspektive des heute alten weißen Mannes zu tun haben, der zur rechten Zeit am richtigen Ort war und vor allem auch die richtigen Leute traf, die ihm dann wiederum die richtigen Türen öffneten. Insofern ist das Buch für die meisten jungen Menschen der Generation Praktikum vermutlich ebenso lebensfremd wie seinerzeit für mich die Ratschläge in überfüllten Semesterveranstaltungen.

Andere Tipps des Buches sollten eigentlcih für jeden und jede, die sich für ein Leben im Ausland interessieren, selbstverständlich sein: Dass man etwa die Sprache lernt, die eigene sprachlich-kulturelle Blase meidet, in die neue Landeskultur eintaucht und mit offenem, neugierigen Blick die neue Erfahrung und Umwelt annimmt. Ganz ehrlich - für diese Erkenntnis hätte ich kein Buch gebraucht.

Dass Reisen den Blick verändert, das Eintauchen in andere Kulturen und das Leben außerhalb der bekannten Landesgrenzen und Horizonte ebenso herausfordernd wie bereichernd sein kann - das kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. In diesem Buch klingt mir das alles ein bißchen ich-verliebt und eitel. Da hätte ein wenig Distanz des Autoren zu sich selbst sicherlich nicht geschadet. Als Plauderstündchen aus einem Kosmopolitenleben ist das Buch sicherlich entspannend, wer ernsthaft den Sprung ins Ausland plant, würde sich heutzutage wohl eher im Internet informieren statt sich Lebensweisheiten zugute zu führen, die telweise auf vor Jahrzehnten gemachten Erfahrungen aufbauen.

Anderes, was mich hier wirklich mal interessiert hätte, wurde dagegen nur knapp abgehakt, etwa das Jahr auf einer FDJ Kaderhochschule (ja, damals gab es die DDR noch) und wie die Erfahrung mit dem real existierenden Sozialismus den Autor letztlich geprägt hat. Oder die Frage, wann er die letzten seiner Überzeugungen über Bord geworfen hatte zugunsten von Boss-Anzügen oder Entertainment-Programm auf Kreuzfahrten.

Laut Klappentext gibt Geigen all denen "Rat und Inspiration, die selbst in die Welt aufbrechen wollen". Bei Thema Rat bin ich ein bißchen skeptisch. Und was die Inspiration angeht: Wer aufbrechen will (oder schon einschlägige eigene Erfahrungen gesammelt hat), braucht ja eigentlich kein weiteres Buch, sondern will einfach raus und weg.


Adrian Geiges, Öfter mal die Welt wechseln

Piper 2023

240  Seiten, 17,99

9783492603454

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