Alles nur Wahn? PTSD-Patientin ermittelt in der Psychiatrie

  In seinem Roman "Eingewiesen" treibt Mark Billingham die Idee eines locked room plot auf eine neue Spitze. Kein eingeschneiter Luxuszug, keine abgelegene Insel, sondern die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik ist hier der Schauplatz. Auch Ich-Erzählerin Alice gehört zu den Patienten, die zwangseingewiesen wurden. Der Tod eines Kollegen hat bei der Polizistin ein posttraumatisches Syndrom ausgelöst, Drogen und Alkohol heizten die Psychose dann noch so richtig an, Klar, dass sich Alice berufen fühlt, als ein Mitpatient tot in seinem Zimmer aufgefunden wird. Leider nehmen weder ihre Mitpatienten noch das Pflegeteam oder die Polizei ihre Ermittlungsversuche und Theorien ernst.

Nun gehört Billingham zu den Autoren, die gut mit den Köpfen ihrer Leser spielen können und so fragt man sich angesichts des Settings natürlich, was man hier überhaupt glauben darf und soll. Alles nur eine Wahnvorstellung? Gab es überhaupt einen Toten, oder spielt sich das alles ausschließlich in Alices überreiztem Hirn ab? Ist sie womöglich selbst die Täterin? Oder doch eine tragische Heldin, die als einzige den Durchblick hat und der keiner glaubt, weil sie nun  mal nachgewiesenermaßen psychisch krank ist und einige ihrer eher zwanghaften Verhaltensweisen ihre Glaubwürdigkeit nicht gerade stützen? Schließlich steht sie die ganze Zeit unter Medikamenteneinfluss, kann daher manchmal weder klar denken noch artikuliert sprechen und bemerkt darüberhinaus zunehmend beängstigende Gedächtnislücken.

Trotz des ernsten Themas gibt es auch heitere Momente mit einer ordentlichen Portion britisch-schwarzen Humors. Die Mitpatienten sind eine Ansammlung recht exzentrischer Charaktere, während das Pflegeteam eher blass bleibt, wie auch die Besucher aus der Außenwelt. Die starke,  vor allem auch meinungsstarke Figur der Alice dominiert das Geschehen, das sie oft sarkastisch kommentiert. Dennoch werden psychisch Kranke hier nicht vorgeführt.

In der geschlossenen Abteilung entwickelt durchaus eine eigenen kleine Gesellschaft, in der die Neugier auf die anderen angesichts der begrenzten Außeneinflüsse stets groß ist. So oder so steht jeder mehr oder weniger unter Beobachtung, was die Leichenfunde umso bemerkenswerter macht... Das Ende ist durchaus überraschend und liefert Antworten auf die Fragen, die sich Leser*innen wohl auch schon beim Lesen gemacht haben. 

Mark Billingham, Eingewiesen

Kampa 2023

400 Seiten, 19.90

978 3 311 12064 3

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