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Es werden Posts vom August, 2024 angezeigt.

Verlorenes Paradies

 In Fischbach haben Schauspielerin Fine und Programmierer Tim mit ihrer kleinen Tochter ihre heile Welt gefunden, ein Paradies außerhalb Berlin, dessen Kulturszene und Restaurantangebote angesichts des Eigenheimglücks im Grünen irgendwie so gar nicht mehr lockt. Ihre Nachbarn sind auch ihre Freunde, eine Blase in der Eigenheimsiedlung, alle akademisch-bürgerlich, die Kinder gehen auf eine Montessori-beeinflusste Grundschule, es ist eine kleine, überschaubare Welt und auch ziemlich in sich abgeschlossen. Mit den ursprünglichen Fischbachern hat man nichts zu tun, die sorgen eher für die Infrastruktur von Handwerk und Handel, die die Neuankömmlinge im Alltag so brauchen. Doch in Peter Huths Roman "Der Honigmann"  wird diese heile Welt nicht bleiben. Der Honigmann, das ist der freundliche ältere Herr, der gegenüber dem Spielwarenladen und an der Bushaltestelle gleich an der Schule einen Laden mit Tees, Duftkerzen und Honig eröffnet hat, der Art von Deko und Mitbringseln, die Fine

Amerikanische Träume

 Von diesem Wahljahr hängt viel ab - unter anderem, ob in den USA Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht. Gerade angesichts der Erfahrung seiner ersten Amtszeit dürften sich viele Europäer fragen, wieso dieser Mann bei einer großen Zahl von Amerikanern überhaupt als wählbar gilt. Haben die denn nichts gelernt? In ihrem Buch "Das amerikanische Versprechen" erzählt Kerstin Kohlenberg anhand von drei Lebensgeschichten, wie die Mitte der Gesellschaft in den USA immer kleiner wird, wie Aufstiegsträume immer schwieriger umzusetzen sind und wie die Gesellschaft polarisiert. Kohlenberg war, unter anderem in den Trump-Jahren, USA-Korrespondentin der "Zeit" und hat ihre Protagonisten dort getroffen und über längere Zeit begleitet. Im Stil einer literarischen Reportage erzählt sie über Walter, einen Black Lives Matter-Aktivisten, Stephen aus Kentucky, der beim Sturm auf das Kapitol einer der ersten war, die die Absperrungen überwanden und Magali, Tochter einer mexikanisch

Amour fou im Sauerland

 Zugegeben, bei dem Buchtitel "Der Drahtzieher" hatte ich erst mal an politische Intrigen und Ränkespiele gedacht, zumal bei einem Roman, der in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts spielt, Doch Sarah Pines Debütroman ist vor allem eine Amour Fou, die in Südafrika beginnt und im Hochsauerland ihre Talfahrt erlebt. Denn im Sauerland, nahe Iserlohn, hat Theodor Hasselt seine Fabrik, in der Drähte produziert werden. Damit steht er in der Hierarchie der örtlichen Gesellschaft gleich hinter seinem besten Freund, dem Stahlfabrikanten Albert - was nichts an der unterschwelligen Rivalität der beiden Männer ändert. Eigentlich ein bodenständiger Westfale, verlässt Theodor zu Beginn des Buches seine Heimat, um in Südafrika ein Eisenbahnprojekt vom Kap nach Kairo voranzutreiben. Daraus wird zwar nichts, doch auf der Farm seines Onkels, auf der Theodor unterkommt und trotz des deutschen Ambientes so gar nicht angetan vom afrikanischen Leben ist, trifft er seine Cousine Alba, praktischerw

Berlin wird in Dystopie wieder zur Mauerstadt

 Berlin, eine Insel. Berlin, die Mauerstadt. Das gab es schon einmal. Doch in Anne Reineckes Roman "Hinter den Mauern der Ozean" geht es nicht um die Vergangenheit im Kalten Krieg, sondern eine ferne Zukunft, gestaltet durch Klimakatastrofe und wer weiß, was noch. Berlin ist von einer hohen Mauer umgeben und jenseits der Mauern ist Land unter. Wie weit sich dieser Ozean erstreckt, bleibt unklar. Das Meer ist, der hohen Mauer wegen, nicht zu sehen, höchstens je nach Jahreszeit zu hören oder zu riechen.  Und Berlin ist nicht länger eine Millionenmetropole sondern die Heimstatt der fünf "Ewigen" - Lola, Friedrich, Wilhelm, Alexander und Else. Lauter Namen, die fest mit preußischem/Berliner Kulturgut und Historie verbunden sind. Sind auch die Fünf mehr Symbol als echte Menschen? Als Bewahrer des kollektiven Gedächtnisses der "Alten" haben sie eine Rolle zu spielen. Sind sie überhaupt Menschen oder eine Art Klon? Wenn eine*r von ihnen alt wird, kommt die Zeit d

Killer jagen die lahmen Gäule des MI5

 Wenn Mick Herron seine "lahmen Gäule" in ein neues Rennen schickt, ist eines klar: spannende Unterhaltung gewürzt mit schwarzem britischen Humor und intriganten Politikern, die irgendwie sehr an tatsächlich existierende Persönlichkeiten erinnern, ist garantiert. Und man sollte die einzelnen "slow Horses" besser nicht zu lieb gewinnen, denn schon in den vorangegangenen Bänden um die Parias des britischen Inlandgeheimdienstes MI5 war die Überlebensquote nicht so toll.  Niemand dürfe sich sicher fühlen, bestätigte Autor Herron denn auch im Interview. Vielleicht mit Ausnahme von Jackson Lamb, dem ständig missgelauntem Herrn des "Slough House" - soviel Zynismus, politische Unkorrektheit und reptilienartige Verschlagenheit ist schließlich schwer zu ersetzen. Wobei auch Diana Taverner, Oberintrigantin und endlich auch oberste Chefin beim MI 5, ihm in letzterem kaum nachsteht. In "Slough House" werden treue Leser*innen allerdings ein paar Namen aus der

Episodenroman um Liebe und Einsamkeit

 Wer Marco Balazanos Romane wie "Ich bleibe hier" oder "Wenn ich wiederkomme" kennt, muss sich bei "Café Royal" ein wenig umstellen. Zwar zeigt Balzano auch in seinen früheren Werken wechselnde Perspektiven seiner Figuren auf, doch die bleiben überschaubar und ziehen sich durch die ganze Handlung.  "Café Royal" ist eher ein Episodenroman, der fast ausschließlich in der Mailänder Via Marghera und dem dortigen Café Royal spielt, in dem seine Figuren sich begegnen, arbeiten, vorbeiflanieren. Jedes Kapitel ist eine neue Geschichte, und auch wenn sich einige Figuren wiederholen, handelt es sich doch eher um ein Kaleidoskop der Mailänder Gesellschaft, einen Mikrokosmos während und nach der Corona-Epidemie. Oft geht es um Liebe und Einsamkeit, um Kommunikationsprobleme zwischen Paaren oder Generationen, um Aufbruch und Ausbruch. Fremde begegnen sich, alte Freunde erkennen einander nicht mehr, ein Blick zum Nachbartisch kann eine neue Hoffnung oder ein S

Wiener Klüngel

 "Freunderlwirtschaft", das klingt im Österreichischen so viel charmanter als "Klüngel", aber es geht um das gleiche Prinzip in Petra Hartliebs gleichnamigen Wien-Krimi, eigentlich Politkrimi. Gleich der ersten Fall der neu ernannten Leiterin der Wiener Mordkommission, Alma Oberkofler, hat es in sich. Es ist nicht die übliche aus den Fugen geratene Streiterei im Milieu oder Beziehungstat, nein, der junge, gutaussehende Landwirtschafts- und Tourismusminister wird tot in seiner schicken Penthousewohnung gefunden. Ein Unfall, ein eskalierter Streit, eine geplante Tat? Fragen könnte vielleicht die Verlobte des Toten beantworten, als Pressesprecherin der Wirtschaftsministerin selbst Profi im Politikbetrieb. Doch die ist verschwunden und offenbar bewusst abgetaucht, nachdem sie erst das Maximum an Bargeld von einem Geldautomaten abgehoben, ihr Handy zerstört und ihren Wagen auf dem Parklplatz eines Einkaufszentrums stehen gelassen hat. Manches kommt Alma in diesem Fall, i

Bangen, Begleiten, Abschied nehmen

 Schon der Titel "Alte Eltern" verrät, dass Volker Kitz einerseits ein sehr persönliches Buch geschrieben hat und andererseits eines über die Erfahrung, die viele Menschen ab einem bestimmten Alter machen: Plötzlich sind die Eltern nicht nur älter, sie sind alt. Sie werden langsamer, sie werden müder. Krankheiten treten auf - einige machen sie körperlich schwächer, andere greifen den Geist an, wie bei Kitz´s Vater, der an Demenz erkrankt.  Kitz ist sehr ehrlich, wenn er den Prozess, auch die eigene Reaktion beschreibt: Erst die Verleugnung und Verdrängung, bis die Symptome nicht zu übersehen sind. Die Rat- und Hilflosigkeit der beiden Söhne, die sich eingestehen müssen, dass der Vater nicht mehr alleine im Elternhaus auf dem Dorf leben kann, die Suche nach der besten Lösung, die dem Endsiebziger gerecht wird, denn beide leben schon lange nicht mehr in der Nähe der alten Heimat. Kitz drückt sich nicht vor der Verantwortung, er findet eine Seniorenresidenz in Berlin, nahe der e

Warnung und Analyse

 Die Nervosität im Superwahljahr 2024 kommt nicht von ungefähr. Wo man sich auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene umschaut - populistische und nationalistische Parteien und Politiker treten nicht nur zu Wahlen an, sie sind dort auch ziemlich ergolgreich. Und in Deutschland? Die AfD ist in den Parlamenten vertreten und macht sich Hoffnungen, im Osten Deutschlands nicht nur Rathäuser und Landratsämter, sondern auch die erste Landesregierung erobern zu können. In dieser Gemengelage erscheint der Essayband "Rechtsextrem, das neue Normal?", herausgegeben von Matthias Quent und Fabian Virchow. Für diejenigen, die sich schon länger mit der AfD beschäftigen, bietet der Band nicht allzuviel Neues oder gar Überraschendes, auch wenn es in einigen Detailbereichen Vertiefung gibt. Wer sich (warum eigentlich erste jetzt???) angesichts Umfragewerten einerseits und der immer lauteren Auftritte des rechtsextremen Flügels um Björn Höcke entscheidet, sich einmal näher mit der Pa

In Lauerstellung in der Kleinfamilie

 Von wegen Familienidyll - in "Kleine Monster" von Jessica Lind belauert eine Mutter ihren siebenjährigen Sohn nach einem Vorfall in der Schule. Äußerlich steht sie zu ihrem Kind, tatsächlich aber traut sie ihm offenbar alles Mögliche zu. Dabei bleibt stets offen, was Luca eigentlich vorgeworfen wird. Angedeutet wird ein sexueller Zusammenhang - oder alles nur ein Missverständnis? Das Bild Pias als zugewandter, achtsamer Mutter bekommt jedenfalls bald Risse, ihre Reaktionen, ihr Umgang mit dem Kind haben etwas durchaus Manipulatives. Immer mehr rückt die Gegenwart allerdings in den Hintergrund, denn in Pias Ursprungsfamilie gibt es ein unbewältigtes Trauma, das sowohl die Beziehung zu ihren Eltern als auch zu der Adoptivschwester Romi, zu der kein Kontakt mehr besteht, beeinflusst hat. Wer ist da das Monster? Romi, die Fliegen die Beine ausgerissen hat? Oder auch Pia, die den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist? Ist die scheinbar harmonische Kleinfamilie von Pia, Luca

Es war einmal in Hollywood

Das besondere Biotop von Menschen im Hotel hat Amor Towles bereits in seinem Roman "Ein Gentleman in Moskau" beschrieben. Mit seinem neuen Roman "Eve" ist diesmal ein Hotel in Beverley Hills in den goldenen Jahren Hollywoods einer der Schauplätze. Hierhin verschlägt es auch die geheimnisvolle Eve, die sich auf einer Zugfahrt von New York nach Chicago spontan entschließt, nach Los Angeles weiter zu fahren. Los Angeles, vor allem aber Hollywood ist die Stadt der Träume für viele, die hier auf eine Rolle im Film treffen. Blond und schön, wäre auch Eve durchaus eine Kandidatin - wenn da nicht eine Narbe wäre, die ihr Gesicht verunstaltet und über die uns der Autor bis zum Schluss grübeln lässt. Doch während Hollywood all die Möchtegern-Starlets anlockt wie das Licht einen Mottenschwarm, ist Eve irgendwie selber eine Lichtquelle, die andere in ihren Bann zieht, dabei aber im Gegensatz zu den Sternchen niemals Objekt ist, sondern Herrin ihres Handelns. Wer und was sie ist