Verlorenes Paradies

 In Fischbach haben Schauspielerin Fine und Programmierer Tim mit ihrer kleinen Tochter ihre heile Welt gefunden, ein Paradies außerhalb Berlin, dessen Kulturszene und Restaurantangebote angesichts des Eigenheimglücks im Grünen irgendwie so gar nicht mehr lockt. Ihre Nachbarn sind auch ihre Freunde, eine Blase in der Eigenheimsiedlung, alle akademisch-bürgerlich, die Kinder gehen auf eine Montessori-beeinflusste Grundschule, es ist eine kleine, überschaubare Welt und auch ziemlich in sich abgeschlossen. Mit den ursprünglichen Fischbachern hat man nichts zu tun, die sorgen eher für die Infrastruktur von Handwerk und Handel, die die Neuankömmlinge im Alltag so brauchen.

Doch in Peter Huths Roman "Der Honigmann"  wird diese heile Welt nicht bleiben. Der Honigmann, das ist der freundliche ältere Herr, der gegenüber dem Spielwarenladen und an der Bushaltestelle gleich an der Schule einen Laden mit Tees, Duftkerzen und Honig eröffnet hat, der Art von Deko und Mitbringseln, die Fine und die anderen Frauen der Neu-Fischbacher mögen. Beim Einkauf gibt es dann noch einen Capucchino und ein nettes Gespräch, etwas Süßes für die Kinder. 

Doch dann kursiert ein Brief in der Schule, der ein ganz neues Licht auf den Honigmann wirft. Ist der Laden eher eine Honigfalle, gedacht, um das Vertrauen von Kindern zu erschleichen und ihren Müttern gewissermaßen Sand in die Augen zu streuen? Fine gründet eine WhatsApp-Gruppe für Firschbach-Mütter, um ihre Ängste, Wut und Unsicherheit zu artikulieren. Wie es in sozialen Medien nicht selten ist, eskaliert die Gefühlslage in der Gruppe. Die Gruppe wird zur Büchse der Pandora, und Fine hat längst keine Kontrolle mehr über die Dynamik dort.

Huth beschreibt die zunehmende Paranoia innerhalb der Gemeinschaft, zwischen Ängsten und Sensationsgier, Opportunismus, Neid, und dem Versuch, den sozialen Frieden nicht zu gefährden, am Beispiel dreier ursprünglich so eng befreundeter Paare. Für die einen wird es zur Vertreibung aus dem Paradies, für die anderen ein Leben mit Verdängung. Die heile Welt wird gnadenlos seziert. Dieses Buch blickt hinter die Speckgürtel-Idylle  und demaskiert sie ebenso wie die Dynamiken einer daueraufgeregten social media-Gesellschaft

Peter Huth, Der Honigmann

Droemer Knaur 2024

240 Seiten, 22 Euro

9783426449820

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