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Identitätssuche in Togo

 Adikou, die Protagonstin des gleichnamigen Debütromans der Schriftstellerin Raphaelle Red, ist auf der Suche: Nach der Familie ihres Vaters, den sie kaum gekannt hat, nach dem afrikanischen Teil ihrer Identität. Adikou stammt nicht aus den Ban-lieus voller entwurzelter Migranten und zorniger Jugendlicher, sie ist in Paris in einem sehr bürgerlichen, sehr weißen Umfeld aufgewachsen. Eher erotisch exitisiert als ausgegrenzt, und ohne Kontakt zur afrikanischen Diaspora in ihrer Heimatstadt. Von solchem Colorismus ist Adikou selbst allerdings auch nicht frei - ihr Freund wird nur als "Whiteboy" erwähnt, als definieren Hautfarben einen Menschen mehr als seine/ihre Persönlichkeit. Sich als schwarz wahrzunehmen, erfährt Adikou erst während eines Studienaufenthalts in den USA - gleichzeitig aber auch Ausgrenzung als "nicht schwarz genug" vor allem nicht im Hinblick auf ein PoC-Kultur. Manche Campusdiskussionen kann sie nicht nachempfinden und wird umgekehrt als Außenstehen

Vom Versagen der Sicherheitsdienste und "information warfare"

 Der Titel des Buches "Nichtwissen ist tödlich" nimmt die bittere Erfahrung Israels am 7. Oktober 2023 vorweg: Das Land wurde trotz seiner angeblich besten Sicherheitsdienste der Welt vom Terrorangriff der Hamas kalt überrascht. Den Preis zahlten die Toten der Massaker und die mehr als 250 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln und ihre Angehörigen und Freunde. Hätte der Angriff und damit auch der folgende Krieg mit seinem Leid für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen und mittlerweile auch im Libanon vermieden werden können?  Inzwischen ist bekannt, wie akribisch sich die Hamas-Kämpfer vorbereitet haben, aber auch, dass Berichte und Analysen der Beobachterinnen nicht weitergeleitet und ausreichend ernst genommen wurden. Ganz abgesehen von den Fehlern der Regierung Netanjahu, die lieber Truppen zum Schutz der - oft militanten und nationalistisch-extremen - Siedler im Westjordanland abstellte, statt die Kibbutzniks im Süden Israels zu schützen. Insofern berichtet auch Ex-Nac

Innenansichten nach dem Terror

 Es gibt schon viele Bücher zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, und bestimmt werden etliche folgen. Zu tief ist der Einschnitt, nicht nur in Israel, nicht nur in Gaza, sondern auch in der jüdischen Diaspora und in den europäischen und nordamerikanischen Staaten. Der Autor und Publizist Marko Martin hat mit seinem Buch "Und es geschieht jetzt" laut Verlagsinfo "Jüdisches Leben seit dem 7. Oktober" beschrieben. Es sind vor allem persönlich geprägte Innenansichten, Gespräche mit Freunden, Begegnungen, innere Monologe, Erinnerungen an vergangene Besuche in Israel und die wahrgenommene Veränderung im Sommer 2024, Veränderungen aber auch für jüdisches Leben etwa in  Deutschland - die verstärkte Angst, das Gefühl von Unsicherheit angesichts des immer lauteren Antisemitismus, aber auch angesichts des lauten Schweigens ausbleibender Solidarität oder menschlich-nachbarlicher Nachfragen - seid ihr betroffen, kennt ihr jemanden, braucht ihr jemanden zum Reden? Liegt

Gebrauchslyrik und Punk

 Manchmal genügt ein Name, um einen Hörsaal garantiert zu füllen. So auch bei Andreas Frege an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, sehr viel besser bekannt unter dem Namen Campino. Der Sänger und Frontmann der Toten Hosen äußert sich immer wieder nicht nur auf der Bühne, sondern auf Demonstrationen oder anderen öffentlichen Auftritten pointiert zu gesellschaftlichen Themen, zu Rasssimus, Rechtsextremismus usw. Ein Hörsaal war bisher eher nicht die gewohnte Umgebung des Düsseldorfer Musikers. Entsprechend groß war die Neugier auf seine beiden Gastvorlesungen. Wer den live-Auftritt verpasst hat, kann Campinos "Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik" nun nachlesen. Unter dem Titel "Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer" zeigt sich Campino als Fan von Erich Kästners Gedichten, geht auch auf Heinrich Heine, den Namenspaten der Universität und dessen Gedichte ein, die er im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt hat und schlägt natürlich auch den Bogen zur Musik und dem L

Literarischer Reisebericht aus dem Osten Afrikas

 Navid Kermani hat sich aufgemacht in den Osten Afrikas, von Madagaskar bis in die Nuba-Berge des Sudan, auf der Suche nach Kultur und Traditionen der Völker dieser Länder, um zu beobachten, wie sich der Klimawandel auf die Menschen dort auswirkt, zugleich reflektierend: Das Erbe des Kolonialismus, und was es heute für afrikanische Identitäten heißt. "In die andere Richtung jetzt", die Buchform einer Reportagereise für die "Zeit", beschreibt diese Reise. Kermani wollte ganz offensichtlich nicht als alter weißer Mann daherkommen, um mal den beliebten Kampfbegriff zu verwenden. Er bemüht sich um Sensibilität, nähert sich nachdenklich-behutsam Menschen und Ländern: Madagaskar, Mosambik, Komoren, Tansania, Kenia, Äthiopien und schließlich Sudan. Er hat viele Bücher gelesen und Narrative kennengelernt, er reflektiert, denkt auch immer darüber nach, wie er denn wohl wirkt, aus postkolonialer Perspektive. Das ist alles politisch höchst korrekt, aber vor lauter Angst, in ei

Leben wie ein gespaltenes Pendel

 In JJ Bolas "Kein Ort für ein Zuhause" steckt vermutlich ein ganzes Stück Autobiographie: Wie sein Protagonist Jean wurde er in Kinshasa geboren und wuchs in London auf. Der Originaltitel "No place to call home" drückt noch deutlicher die Verlorenheit der Familie aus, die versucht, sich mit unsicherem Rechtsstatus ein Zuhause aufzubauen und eine Identität in der Fremde zu finden. Bola erzählt einerseits die Coming of Age Geschichte des 16-jährigen Jean, andererseits aber auch die Geschichte von dessen Eltern, die für das Band zur alten Heimat und der Verhältnisse dort stehen. Jean und seine jüngere Schwester Marie stehen für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft: Der Vater, der in Belgien Medizin studierte, arbeitet zwei Jobs als Sicherheitsmann und Reinigungskraft, die Mutter, die einst ein gehobenes Lyzeum in Kinshasa besuchte, als Hilfskraft in der Cafeteria von Maries Schule. Die Kinder sollen lernen, Leistung zeigen, erfolgreich sein, sie sollen es schaffen im

Tieftraurig und hoffnungslos - der traurige Kommissar und die Selbstmordserie im Kinderheim

 Einerseits ist "Der Schatten einer offenen Tür" des belarussischen Exil-Autoren Sasha Filipenko ein Stück Kriminalliteratur, geht es doch um die Ermittlungen eines Moskauer Kriminalkommissars in der nordrussischen Provinz. In einer Kleinstadt, in der ein Kinderheim, ein Gefängnis und ein psychiatrische Klinik die größten Jobchancen für die Einwohner zu bilden sein, soll er eine Selbstmordserie aufklären. Vier jugendliche Bewohner des Kinderheims sind tot. Waren es am Ende gar keine Selbstmorde? Zugleich ist der Roman ein Porträt einer perspektiv- und hoffnungslosen Gesellschaft, in der im Zweifelfall Brutalität und Intrigen den Sieg davontragen. Alexander Koslow, der aus Moskau geschickt wurde, um die Selbstmordserie aufzuklären, ist nach dem Scheitern seiner Ehe selbst tieftraurig und steht in der Provinz auf verlorenem Posten - der örtliche Polizeichef ist wegen eines vorangegangenen Falls schlecht auf ihn zu sprechen - und hat selbst bereits seinen Verdächtigen, den naive