"Die Klasse" - Rasanter Thriller aus dem "wilden Osten"

In Dominik Rettingers Thriller «Die Klasse» geben sich Gangster vom Balkan und aus Polen sowie Geschäftsleute und Politiker die Ehre. Sie alle halten einen Warschauer Journalisten in Atem.

 Freundschaften aus der Schulzeit – das können Zweckgemeinschaften sein. Durch Zufall zusammengeschmiedet und leicht aufgelöst, sobald sich die Wege nach dem Schulabschluss trennen. Es können aber auch unverbrüchliche Bande sein, die über Jahrzehnte halten, egal wie unterschiedlich die Lebenswege verlaufen. So eine Freundschaft besteht auch zwischen den Protagonisten in Dominik Rettingers polnischem Thriller «Die Klasse».

Der Warschauer Radiomoderator Adam Wierzbicki zögert nur kurz, als er mitten in einer live-Sendung den Anruf eines alten Schulfreundes erhält. Etwa 15 Jahre haben sie sich nicht gesehen, dennoch kommt er dem Hilferuf nach, der ihn auf die Intensivstation eines Krankenhauses führt. Der alte Schulfreund Piotr wurde von Gangstern zusammengeschlagen, doch mit der Polizei will er nicht reden.

Ein U-Bahn-Fahrschein mit einem Zahlenchiffre, den Piotr seinem alten Freund heimlich zusteckt, lenkt die Aufmerksamkeit auf Adam. Der Mittvierziger, dessen Generation zu den Gewinnern des politischen Umbruchs in Polen gehört und der bisher ein weitgehend sorgenloses Leben genießen konnte, ist plötzlich ein Mann, den Geheimdienste, organisiertes Verbrechen und ein Konzern mit ziemlich miesen Interessen gleichermaßen verfolge.. Bald muss er nicht nur um sein Leben kämpfen, sondern auch um das seiner Familie.

Der unauffällige Durchschnittsmensch, der unversehens in eine Kriminalaffäre oder Verschwörung gerät – das erinnert an ein Szenario aus einem Hitchcock-Film. Vielleicht kein Wunder, denn Rettinger ist eigentlich  Drehbuchautor. Seinem Roman merkt man das durchaus an, denn «Die Klasse» ist in einem rasanten Tempo geschrieben, aktionsreich und voller Wendungen und Szenenwechsel wie schnelle Schnitte im Film. Da sieht man als Leser geradezu schnelle Kamerafahrten, läuft der Film vor dem inneren Auge ab.

Allerdings, bei all dem Tempo und der Dramatik der sich überstürzenden Ereignisse, der Finten, die den Leser auf falsche Fährten führen, bleiben die handelnden Personen über weite Strecken flach. Das Leitmotiv der Abiturklasse mit alten Freundschaften und einer gemeinsamen, in Vergessenheit geratenen dunklen Vergangenheit dagegen wird voll ausgereizt.

Denn auch Geheimdienstoffizier Karol, der eigene Ermittlungen gegen Piotr wegen einer von ihm abgezweigten Millionensumme eines polnisch-amerikanischen Unternehmens führt, saß in der Abiturklasse und gehörte der gleichen Clique an. Seine Frau hat ein Verhältnis mit Piotr.
Ein weiterer ehemaliger Freund aus der Abiturklasse bietet Adam Zuflucht an – doch ist der drogenabhängige Schauspieler ein Freund oder ein Feind? Und wer ist der Maulwurf in dem kleinen, loyalen Ermittlungsteam Karols? Verstrickungen zwischen Politik, Wirtschaft und kriminellen Gruppen machen es Adam und Karol fast unmöglich, überhaupt noch jemandem zu trauen, bis es gewissermaßen zum high noon an der Weichsel kommt.

«Die Klasse» bietet nicht gerade Charakterstudien oder Analysen zu einer Gesellschaft, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zwischen Lebensgier, unbedingtem Aufstiegswillen und Wertewandel ihren Weg sucht. Spannend geschrieben ist der Roman allemal. Und spätestens, wenn es um den Konflikt zwischen Millionengewinn aus Rohstoffförderung und Naturschutz geht, erinnert vieles an aktuelle Ereignisse wie etwa die seit Jahren geführte Kontroverse um Fracking in Polen.

Dominik Rettinger: Die Klasse.
Paul Zsolnay Verlag, Wien,
480 Seiten, 22,00 Euro,
ISBN 978-3-552-05855-2

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