Die Polizisten - psychologisches Kammerspiel im Streifenwagen

#Literatur #Belletristik #Frankreich #Asyl #Polizei #Abschiebung


Die drei Polizisten befolgen nur ihre Anordnungen:  Ein Abschiebehäftling aus Tadschikistan muss zum Flughafen, im Abschiebegefängnis wurde ein Brand gelegt, so dass nicht die üblichen Beamten, sondern die drei Streifenpolizisten den jungen Mann zum Pariser Flughafen bringen sollen. Alles Routine.  Doch dann spricht eine Sozialarbeiterin Virginie an: Dem Mann drohe in seiner Heimat die Todesstrafe, er sei bereits in der Vergangenheit gefoltert worden.

Virginie ist genervt, sie will das alles nicht hören, hat genug eigene Probleme. Von ihrem Mann fühlt sie sich nicht mehr begehrt, seit das gemeinsame Kind auf der Welt ist. Bestätigung holte sie sich in der heimlichen Beziehung mit ihrem Kollegen und Streifenpartner Aristide. Dumm nur, dass sie dabei schwanger wurde. Eine Abtreibung am nächsten Tag soll das Problem aus der Welt schaffen.  Aristide wiederum reagiert wütend auf die Entscheidung, auch wenn von Liebe zwischen den beiden nie die Rede war. Eric, der schon länger als die beiden anderen bei der Polizei ist, weiß nichts von dem Beziehungsgeflecht zwischen seinen beiden Kollegen, würde das auch ablehnen, korrekt, wie er ist.

Doch Eriks Korrektheit ist letztlich ein Panzer, mit dem er sich vor den Verletzlichkeiten durch seinen Beruf schützt, der ihn eigentlich längst mürbe gemacht hat. Den Polizisten-Modus, das Checken möglicher Gefahren, kann er auch im Privatleben nicht ablegen.  Nie geht er mit seiner Frau im Streit auseinander, denn das soll nicht die letzte Erinnerung sein, falls die Dienststelle mit einer Todesnachricht bei ihr anruft. Und aus Angst, den Geruch des Todes ins eigene Heim zu tragen, zieht er sich schon im Treppenhaus nackt aus, wenn er beruflich mit Leichen zu tun hatte.

„Die Polizisten“ von Hugo Boris ist mehr eine Erzählung als ein Roman, ein Kammerspiel im Streifenwagen, Psychogramm dreier Menschen, die sich entscheiden müssen,  ob sie auf das Schicksal eines Vierten Einfluss nehmen oder den Regeln treu bleiben, die ihr Leben beherrschen. 

Denn Virginie hat den Umschlag mit den Informationen zu dem Abschiebehäftling, der eigentlich ungeöffnet den Kollegen am Flughafen übergeben werden soll, aufgemacht.  Sie weiß, sie befördert einen Todeskandidaten. Was sind nun die Optionen – für sie, für den Tadschiken, für die Kollegen? Wie weit geht die Pflicht, wo müssen Gewissensentscheidungen getroffen werden? Wer vertraut wem, und wie weit kann der Einzelne Schicksal spielen? Kann auch Gleichgültigkeit töten?

Mit seiner Geschichte einer Abschiebung hat Boris ein hochaktuelles Buch um Gewissenskonflikte und Entscheidungsfreiheit geschrieben.  Der Mann, um dessen Leben es geht, bleibt merkwürdig blass – und wahrscheinlich ist genau das gewollt. Denn in der politischen Debatte um Abschiebung, um Geflüchtete, um das Recht auf Asyl scheinen Zahlen und abstrakte Begriffe über Einzelschicksale zu dominieren.  Er könnte  ein Jedermann sein – wenn nicht aus Tadschikistan, dann vielleicht aus Somalia, aus Tschetschenien,  aus irgendeinem weit entfernten Land, von dem diejenigen, die über Asyl oder Abschiebung entscheiden, oft nur wenig wissen.  Näher hinzuschauen, nachzufragen, Haltung einzunehmen – das ist nicht nur die Option für die drei Polizisten, sondern auch für den Leser.


Hugo Boris, Die Polizisten
Ullstein-Verlage, 2018
ca 190 Seiten, ISBN: 978-3-55005046-6

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